Ergänzungsleistungen in Langzeitpflegeinstitutionen: Erfahrungen aus der Praxis einer Sozialarbeiterin

Mit dem Eintritt in eine Langzeitpflegeinstitution taucht unweigerlich die Finanzierungsfrage auf. Was passiert mit Bewohner*innen, die für eine Finanzierung ihres Aufenthalts auf Ergänzungsleistungen angewiesen sind? Ein Blick auf Fragen, Unsicherheiten und Erfahrungen, die sich im Zusammenhang mit dem Thema Ergänzungsleistungen in der Praxis einer Langzeitpflegeinstitution oft zeigen.

Bei einem Eintritt in eine Langzeitpflegeinstitution ist die Finanzierung oft ein grosses Thema. Einige Betroffene, seien es Bewohnerinnen oder Angehörige, erfahren erst im Rahmen des Aufnahmeprozederes, welche Kosten für Bewohnerinnen selbst anfallen. Bei uns in den Gesundheitszentren für das Alter der Stadt Zürich sind dies, je nach Komfortkategorie, zwischen knapp Fr. 7000.– und 8000.– pro Monat.

Da stellt sich – bei tiefem Vermögen – schnell die Frage: Wie soll ich das bezahlen? Die Antwort: Mit Ergänzungsleistungen. De facto, etwas salopp formuliert, übernimmt die Sozialversicherung «Ergänzungsleistungen zur AHV und IV» – kurz EL – hier den Part einer Pflegeversicherung. Bei einem höheren Vermögen stellen sich oft auch Fragen. Die sollen aber in diesem Beitrag nicht das Thema sein.

Seit der EL-Reform – am 1. Januar 2021 in Kraft gesetzt – ist die Frage, wann bei Eintritt in eine Institution Ergänzungsleistungen beantragt werden sollen/können, etwas einfacher zu beantworten. Dies aufgrund der neu eingeführten Vermögensobergrenze von Fr. 100 000.– für Einzelpersonen und Fr. 200 000.– für Ehepaare oder eingetragene Partnerschaften. Liegt das versteuerte Vermögen darüber, macht es keinen Sinn, EL zu beantragen (eine Ausnahme stellt hier Vermögen aus einer selbst bewohnten Liegenschaft dar).

Fall 1: EL wurden schon zu Hause bezogen

Am einfachsten haben es die Bewohnenden, die schon zu Hause EL bezogen. In diesem Fall können für Bewohner*innen anfallenden Kosten im Zweierzimmer und Einerzimmer mit geteilter Nasszelle zu Beginn als Krankheitskosten beim Amt für Zusatzleistungen (AZL) eingereicht werden. Die Kosten werden dann zum grössten Teil übernommen. Bei einem längeren Verbleib nimmt das AZL eine Neuberechnung vor und verfügt wesentlich höhere EL.

Fall 2: ab Eintritt bezugsberechtigt für EL

Für viele der neueintretenden Bewohner*innen wird mit dem Eintritt in eine Pflegeinstitution eine Neuanmeldung für EL nötig. Eben aufgrund der oben erwähnten hohen Kosten, die weder durch die Krankenkasse noch im Rahmen der öffentlichen Pflegefinanzierung übernommen werden.

Ich erlebe in dieser Situation selten bis nie, dass Betroffene oder deren Vertreterinnen grundsätzlich eine Anmeldung für EL ablehnen. Die anfallenden Kosten und der Blick aufs Konto sprechen wohl für sich. Zudem nehme ich selten das Gefühl von Scham bei Bezug von EL wahr. Und da neueingetretene Bewohnende oder ihre Angehörigen aktiv von uns Sozialarbeiterinnen zum EL-Bezug informiert wer-den, spielt Nichtwissen keine Rolle.

Das Prozedere der Anmeldung können in der Regel die Eintretenden aufgrund ihrer Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit nicht mehr selber erledigen. Als Sozialarbeiterin eines Gesundheitszentrums für das Alter der Stadt Zürich ist es eine meiner Aufgaben, abzuklären, ob die eingetretene Person eine Vertretung hat oder es eine zu suchen gilt (z.B. Angehörige, Pro Senectute Treuhanddienst, Beistandschaft). Viele Angehörige übernehmen zum ersten Mal die Aufgabe, eine EL-Anmeldung in die Wege zu leiten. Den Respekt davor verstehe ich gut. Beim Zusammenstellen der Unterlagen ist viel Fleissarbeit gefragt. Es hat gewisse Parallelen zur Einreichung der Steuererklärung – nur ist es einiges aufwändiger. Die Vertretungspersonen werden von uns umfangreich darüber informiert, falls dies nötig ist. Das Gefühl von «die Hosen runterlassen müssen» oder Schikane teilen Betroffen zwar ab und zu mit. Mehrheitlich nehme ich aber Verständnis wahr für die nötige Prüfung durch das AZL. Schliesslich werden bei einem Eintritt in eine Pflegeinstitution monatlich grosse Beträge als EL ausbezahlt. Mich freut es, dass viele über einen guten, verständnisvollen Kontakt mit den zuständigen Personen beim AZL berichten.

Aus meiner Sicht wird der Bezug von EL ab Eintritt in eine Langzeitpflegeinstitution weniger stigmatisierend wahrgenommen als bei einem Bezug in der eigenen Wohnung. Eben, weil die anfallenden hohen Kosten bei kleiner Rente und tiefem Vermögen offensichtlich nicht zu stemmen sind.

Anfallende Krankheitskosten werden trotz EL nicht zurückgefordert

Was ich in der Praxis immer wieder antreffe: Krankheits- und Behinderungskosten von EL-Bezüger*innen, die nicht zurückgefordert werden. Das wiederum geschieht oft aufgrund von Nichtwissen oder Nicht-mehr-Wissen.

Fall 3: EL werden trotz Berechtigung nicht bezogen

Nichtbezug von EL und die aus der Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ermittelten Gründe dafür (mehr dazu im Gerontologieblogbeitrag vom 25. Mai 2023), nehme ich sehr wohl wahr. Aber eben für die Zeit vor dem Eintritt in die Pflegeinstitution. Häufig genannte Gründe dafür sind:

  • Keine Almosen annehmen wollen
  • dem Staat nicht zur Last fallen wollen / ihm Rechenschaft abgeben müssen (man will nichts mit dem Staat zu tun haben)
  • Nichtwissen bezüglich Anspruch auf EL
  • Bedenken bezüglich allfälligen Rückerstattungen von EL im Todesfall seit den gesetzlichen Änderungen (in Kraft seit 1. Januar 2021)

Übrigens: Ein vorübergehender Aufenthalt mit anschliessender Rückkehr nach Hause kann dazu führen, dass EL auch nach der Rückkehr nach Hause weiter ausbezahlt werden – angepasst an die Situation zu Hause. Quasi ein positiver Nebeneffekt für Betroffene, der eine Armutssituation aufheben oder verhindern kann.

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