Wie tönt gesundes Altern? Eine Untersuchung von Aktivitäten und Sprache älterer Menschen im Alltag mit Hilfe von Smartphones

Moderne Technologie ermöglicht es uns, psychologische Forschung in der realen Welt zu betreiben, anstatt nur im Labor. Mithilfe einer Smartphone-Sensormethode sammeln wir Umgebungsgeräusche im täglichen Leben von Menschen, um ein «akustisches Tagebuch» ihres Lebens zu erstellen – und auf dieser Grundlage Erkenntnisse zu Aktivitäten, Denkfähigkeit und Gesundheit zu gewinnen.

Die EAR-Methode

Kognitive und soziale Aktivitäten im realen Leben sind in der Altersforschung von großem Interesse. Eine Methode, die wir verwenden, um solche täglichen Aktivitäten zu erkennen und zu beobachten, nennt sich «Electronically Activated Recorder» (EAR; Mehl, Pennebaker, Crow, Dabbs, & Price, 2001). Technisch gesehen handelt es sich dabei um einen tragbaren Audiorekorder, der in regelmäßigen Abständen kurze Töne aus der Umgebung aufnimmt – heutzutage ist es umgesetzt in einer Smartphone-App!

Die Studienteilnehmenden tragen ihr Telefon immer bei sich, ohne zu wissen, wann genau die App aufzeichnet. Die Aufnahmen sind kurz, um die Privatsphäre der Teilnehmenden zu schützen: In der Regel sammeln wir vier Tondateien pro Stunde mit einer Länge von jeweils 30 Sekunden, was zu etwa 80 Tondateien pro Person und Tag führt (z.B. Demiray, Mehl & Martin, 2018). Je nach Forschungsdesign und -ziel können jedoch auch längere Tondateien über längere Zeiträume gesammelt werden (z.B. Demiray, Luo, Tejeda-Padron & Mehl, 2020).

Beispielergebnisse aus der Zürcher EAR-Forschung

In unseren Studien haben wir festgestellt, dass unsere Studienteilnehmenden die Verwendung der EAR-App nicht als lästig wahrnehmen: Sie zeigen hohe Compliance mit den Studienabläufen und teilen ihre Tondateien gerne mit uns. Unsere geschulten Forschenden hören sich die EAR-Aufnahmen an, transkribieren sie und kodieren sie dann nach objektiven Verhaltensaspekten, wie z.B. momentane Aktivität der Teilnehmenden (z.B. Essen, Fernsehen, Arbeiten), emotionaler Ausdruck (z.B. lachen, weinen, seufzen) und Ort (z.B. in einem Laden, im Freien). Zusätzlich zu diesen grundlegenden Kategorien kodieren wir auch spezifische Kategorien, welche psychologische Informationen erfassen, die für unsere Forschungsfragen relevant sind. Wir kodieren beispielsweise kognitive Aktivitäten:

  • Sprachgebrauch (z.B. Komplexität der Grammatik, Wortschatzreichtum)
  • mentale Zeitreisen (Gespräche über die eigene Vergangenheit und Zukunft)
  • Reminiszenz (Sprechen über persönliche, bedeutungsvolle Erinnerungen)

Beispiele für Kodierung von sozialen Aktivitäten sind:

  • Interaktionstypen (z.B. dyadisches Gespräch, Gruppeninteraktion, Telefonat)
  • Konversationstypen (z.B. Small Talk versus inhaltliche/emotionale Diskussion)
  • Reminiszenz-Partner (z.B. Ehepartnerin, Freundinnen)

Ebenfalls arbeiten wir mit Informatikerinnen zusammen, um diese Kodierungsarbeiten durch maschinelles Lernen zu automatisieren (z.B. Ferrario et al., 2020; 2022). Einige ausgewählte Ergebnisse aus dieser Forschung lassen sich wie folgt zusammenfassen: In einer Studie untersuchten wir in den Äußerungen von Personen in realen Gesprächen zum Beispiel sogenannte mentale Zeitreisen, also wie viel Personen im Alltag über ihre persönliche Vergangenheit und ihre persönliche Zukunft sprechen. Alle Tondateien, die Redebeiträge der Teilnehmerinnen enthielten, wurden hinsichtlich ihrer zeitlichen Ausrichtung (z. B. Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart, zeitunabhängig) und ihres autobiografischen Charakters (d. h. über sich selbst, über andere) kodiert. In dieser und Studien mit anderen Stichproben konnten wir zeigen, dass die Teilnehmenden zwei- bis dreimal so oft über ihre persönliche Vergangenheit wie über ihre persönliche Zukunft sprachen (d. h. retrospektive Verzerrung).

In einer anderen Studie haben wir aus den Alltags-Sprachaufnahmen sprachliche (also linguistische) Kennwerte entwickelt, die Ideendichte, Wortschatzreichtum und grammatikalische Komplexität repräsentieren. Unsere Ergebnisse zeigten, dass diese verschiedenen linguistischen Merkmale, gemeinsam mit maschinellem Lernen und der Berücksichtigung von sozialen Kontextinformationen aus den Alltagsgesprächen gesunder älterer Erwachsener dazu genutzt werden können, um Unterschiede in der Funktion des Arbeitsgedächtnisses zu signalisieren. Unsere Ergebnisse könnten die Entwicklung eines wenig invasiven Frühwarnsystems im Sinne einer rechtzeitigen Erkennung eines kognitiven Rückgangs unterstützen, das sich auf im Alltag aufgezeichnete Sprachdaten stützt.
Sprachdaten aus dem Alltag können verhältnismässig unaufwendig gesammelt werden und bieten eine interessante Datenquelle. Unter Berücksichtigung zentraler Datenschutzaspekte und der Zuhilfenahme theoriegeleiteter Ansätze maschinellen Lernens können derartige Sprachdaten neuartige Einblicke in Prozesse gesunden Alterns geben.

Mitarbeit am Artikel: Christina Röcke

Referenzen

Demiray, B., Luo, M., Tejeda-Padron, A. & Mehl, M. R. (2020). Sounds of healthy aging: Assessing everyday social and cognitive activity from ecologically sampled ambient audio data. In P. Hill & M. Allemand (Eds.), Personality and Healthy Aging in Adulthood: New Directions and Techniques. Springer.

Demiray, B., Mehl, M. R., & Martin, M. (2018). Conversational time travel: Evidence of a retrospective bias in real life conversations. Frontiers in Psychology, 9. Article 2160.

Ferrario, A., Demiray, B., Yordanova, K., Luo, M., & Martin, M. (2020). Social reminiscence in older adults’ everyday conversations: Automated detection using natural language processing and machine learning. Journal of Medical Internet Research, 22(9), e19133.

Ferrario, A., Luo, M., Polsinelli, A. J., Moseley, S. A., Mehl, M. R., Yordanova, K., Martin, M., & Demiray, B. (2022). Predicting working memory in healthy older adults using real-life language and social context information: A machine learning approach. Journal of Medical Internet Research, Research Protocols, 5(1): e28333.

Mehl, M. R., Pennebaker, J. W., Crow, D. M., Dabbs, J., & Price, J. H. (2001). The
Electronically Activated Recorder (EAR): A device for sampling naturalistic daily activities and conversations. Behavior Research Methods, 33(4), 517-523.

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