Was Beratung von alten Menschen und ihren Angehörigen besonders macht

Altwerden ist mit unterschiedlichsten Herausforderungen, Verlusten und Anpassungsprozessen verbunden, die bis ins hohe Alter leistbar sind. Psychologische Beratung kann einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Lebensqualität und zum Umgang mit abnehmenden Ressourcen leisten. Um den Beratungsprozess wirksam gestalten zu können, ist ein tiefgreifendes Verständnis für diese Lebensphase und konkrete altersspezifische Fähigkeiten vonseiten der beratenden Person erforderlich. Der CAS «Beratungskompetenz zum Leben im Alter» der Universität Zürich wurde entwickelt, um Fachpersonen das nötige Werkzeug mit auf den Weg zu geben, um alte Menschen individuell und bedürfnisorientiert begleiten zu können.

Beratung alter Menschen will gelernt sein

Die Beratung alter Menschen und ihres sozialen Umfeldes stellt in vielerlei Hinsicht eine Besonderheit dar. «Die» Alten gibt es nicht. So ist besonders diese Lebensphase durch eine hohe Heterogenität in Bezug auf die körperliche und psychische Gesundheit, die Belastungen und die Ressourcen gekennzeichnet (Höpflinger & Stuckelberger, 2000; Martin & Kliegel, 2014). Die Plastizitätsforschung hat gezeigt, dass Veränderung und Lernen generell bis ins hohe Alter möglich sind und somit auch psychologische und psychosoziale Interventionen, die Veränderungsprozesse initiieren, im Alter wirksam sind (Maercker, 2015).
Um solche Veränderungsprozesse ins Rollen zu bringen, ist es als meist jüngere, beratende Person wichtig, diese Heterogenität des Alters im Blick zu haben und mit gerontologischem und gerontopsychologischem Grundwissen über Entwicklungsprozesse, Ressourcen und Belastungen dieser Lebensphase vertraut zu sein. Des Weiteren ist eine Fachexpertise zu den spezifischen Konfliktfeldern, den Herausforderungen und den möglichen Beratungsthemenfeldern notwendig (Peters, 2006). Für die besondere Beziehungsgestaltung zwischen Berater und Ratsuchenden, die häufig mit einer Asynchronität durch das Altersgefälle beginnt (Radebold, 1994), sind ausserdem diverse Anpassungen und konkrete Skills erforderlich, um den Beratungsprozess effektiv gestalten zu können. Und schliesslich bildet auch die Zusammenstellung, der Einsatz und die Evaluation von störungsspezifischen und den-noch individualisierten Interventionen für den alten Klienten eine besondere Herausforderung (Buhić-Bergner & Linden, 2013). Beratung alter Menschen will also gelernt sein.

Beratungspraxis im Wandel: Erfahrungen nutzen, Kompetenzen erweitern

Die Zahlen des gesellschaftlichen und demografischen Wandels sprechen eine eindeutige Sprache: Schätzungen gehen davon aus, dass im Jahr 2050 mehr als ein Viertel der Schweizer Bevölkerung über 65 Jahre alt sein wird (Bundesamt für Statistik, 2020). Dies macht deutlich, dass Kompetenzen in der Beratung von alten Menschen von hoher Relevanz sind und dies auch in Zukunft sein werden. So ha-ben sich in den letzten Jahren unterschiedliche Beratungs- und Therapieangebote für Seniorinnen entwickelt. Es finden sich weit verbreitet Sozial- und Finanzbera-tung, juristische Beratungen zur Erbschaft, oder Bewegungs- und Ernährungsbera-tung. Die psychologische Beratung ist deutlich weniger vertreten. Die Beratungs-stelle «Leben im Alter» der Universität Zürich war im Gründungsjahr 2002 schweiz-weit die erste Institution, welche psychologische Beratung für alte Menschen und ihre Angehörigen anbot. Das niederschwellige Beratungsangebot wird von Perso-nen im Alter zwischen 21 und 99 Jahren in Anspruch genommen. Dabei sind über die Hälfte der Klientinnen älter als 65 Jahre und weiblich. Die Beratungsthemen sind sehr vielfältig und reichen unter anderem von der Betreuung von einereinem dementen Partnerin über den Umgang mit dem Autonomieverlust und Trauer bis hin zu Altersdepression.

Um den grossen Erfahrungsschatz dieser langjährigen Tätigkeit weiterzugeben, hat die Beratungsstelle LiA im Jahr 2020 den CAS «Beratungskompetenz zum Leben im Alter» konzipiert. Dabei handelt es sich um den ersten Studiengang im deutsch-sprachigen Raum auf universitärem Niveau, der Theorien, Techniken und praktische Kompetenzen in der Beratung alter Menschen und ihrem sozialen Umfeld vermittelt. Inhaltliche Schwerpunkte des CAS bilden zum einen die Lebensphase Alter mit ihren Herausforderungen und Themen wie Altersbilder, kritische Lebensereignisse, Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten des 3. und 4. Lebensalters. Zum anderen werden Grundlagen zur Beratung allgemein und die Spezifika der Beratung alter Menschen vermittelt. Ausserdem werden die spezifischen Beratungs- und Themenfelder der Beratung alter Menschen und ihres sozialen Umfelds vermittelt und das Erlernte schliesslich an konkreten Fällen reflektiert und geübt. Der CAS findet berufsbegleitend während zwei Semestern statt und richtet sich an Personen, die in ihrer Tätigkeit alte Menschen und ihr soziales Netz beraten, und ihre Kompetenz und ihr Wissen über das spezifische Feld der Beratung im Alter und der beratungsrelevanten Themen und Konfliktfelder erweitern möchten.

Bettina Ugolini & Lea Simeon

Weiterführende Infos:

Beratungsstelle LiA
CAS Beratungskompetenz zum Leben im Alter

Literaturverzeichnis

Buhić-Bergner A. & Linden M. (2013). Spektrum der störungsspezifischen verhaltens-therapeutischen Behandlungsansätze bei depressiven Störungen. Verhal-tenstherapie, 23, 267-279. doi: 10.1159/000356902

Bundesamt für Statistik. (2020). Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz und der Kantone 2020–2050. Bericht des Bundesamts für Statistik.

Höpflinger, F. & Stuckelberger, A. (2000). Demographische Alterung und individuel-les Altern (2. Auflage). Ergebnisse aus dem NFP 32 ‘Altern’. Zürich: Seismo.

Maercker, A. (2015). Alterspsychotherapie und klinische Gerontopsychologie (2. neu bearbeitete Aufl.). Berlin: Springer.

Martin, M. & Kliegel, M. (2014). Psychologische Grundlagen der Gerontologie (4., neu bearbeitete Aufl.). In C. Tesch-Römer, H.-W. Wahl, S. Weyerer & S. Zank (Hrsg), Grundriss Gerontologie: Band 3. Stuttgart: Kohlhammer.

Peters, M. (2006). Psychosoziale Beratung und Psychotherapie im Alter. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Radebold, H (1994). Altern und Psychotherapie. Angewandte Alterskunde, Bd. 9. Bern: Huber.

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