Übergangspflege – Slow Stream Rehabilitation in den Pflegezentren der Stadt Zürich

Rückblick auf die Veränderungen in den PZZ nach gut zwei Jahren neuer Spitalfinanzierung (Dr. med. Gabriela Bieri-Brüning, Ärztliche Direktorin PZZ)

Ausgangslage

Seit dem Januar 2012 gilt die neue Spitalfinanzierung mit Fallkostenpauschalen, den SwissDRG. Wie in allen Ländern haben sich damit auch in der Schweiz die Spitalaufenthaltsdauern verkürzt und die Nachsorge auf den ambulanten Bereich sowie die Langzeitinstitutionen verlagert.

Vulnerable Patientengruppen wie alte, gebrechliche Menschen haben in der medizinischen Betreuung einen deutlich höheren Zeitbedarf und sind bei knappen zeitlichen Ressourcen besonders gefährdet bezüglich Qualitätseinbussen (Breuer et al 2011).

Die Pflegezentren der Stadt Zürich

Die Pflegezentren der Stadt Zürich (PZZ) betreiben an zehn Standorten im gesamten Stadtgebiet rund 1600 Betten. Die PZZ sind die größte Institution ihrer Art in der Schweiz. Zu ihrem Angebot gehören auch zwei Tageszentren, die Gerontologische Beratungsstelle mit den ambulanten Angeboten Memory-Klinik Entlisberg und Hausbesuche SiL (Sozialmedizinische individuelle Lösungen). Die medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten wird durch ein eigenes Heimarztsystem abgedeckt. Die leitenden Ärzte/Ärztinnen sind Geriater/-innen oder Gerontopsychiater/-innen. Etwa 70 Prozent der Heimeintritte erfolgten bereits vor DRG-Einführung direkt aus einem Akutspital oder einer psychiatrischen Klinik.

Veränderungen in den PZZ in den letzten 10 Jahren

In den letzten 10 Jahren hat sich die Aufenthaltsdauer auch in den PZZ kontinuierlich verkürzt. Einerseits treten die Bewohnerinnen und Bewohner später und pflegebedürftiger in ein Heim ein. Dies zeigt sich im Anstieg des ADL-Index als Ausdruck der Pflegebedürftigkeit (Abb.1) (Bieri 2013). Patientinnen und Patienten, die zur Slow Stream Rehabilitation auf die seit 2012 eröffneten Abteilungen für Aufnahme und Übergangspflege (AAÜP) eintreten, haben einen deutlich niedrigeren ADL-Index als diejenigen, die als Langzeitpatienten eintreten.

Entwicklung durchschnittlicher ADL-Index bei Eintritt und bei allen Bewohnerinnen und Bewohnern

Abb. 1: Entwicklung durchschnittlicher ADL-Index bei Eintritt und bei allen Bewohnerinnen und Bewohnern

Andererseits haben in den letzten zehn Jahren die sogenannten Lebendaustritte, d.h. Patientinnen und Patienten, die nur temporär zur Übergangspflege im Pflegezentrum waren, deutlich zugenommen (Abb. 2).

Verlauf Ein- und Austritte sowie Lebendaustritte im Pflegezentrum Entlisberg

Abb. 2: Verlauf Ein- und Austritte sowie Lebendaustritte im Pflegezentrum Entlisberg

Der Patientenmix veränderte sich in den letzten zehn Jahren hin zu medizinisch komplexeren Fällen (wie Langzeitbeatmete, Peritonealdialyse), mehr Demenzerkrankungen, mehr psychiatrische Erkrankungen oder Patientinnen/Patienten mit sozialmedizinischen Fragestellungen.

Anpassungen der Prozesse in den PZZ

Seit Januar 2012 führen die Pflegezentren zur Aufnahme aller Eintritte gut 70 Betten für den Betrieb der drei Abteilungen für Aufnahme und Übergangspflege (AAÜP). Mit den hauptzuweisenden Spitälern wurde vereinbart, Patientinnen und Patienten innerhalb von zwei Wochentagen zu übernehmen. Abgeklärte Demenzkranke oder Palliativpatienten werden direkt auf der Langzeitpflegeabteilung platziert, um ihnen einen zusätzlichen Wechsel zu ersparen.

In der Regel sind die vom Spital eintretenden Patientinnen und Patienten, ausser sie kommen von der Akutgeriatrie, geriatrisch nicht abgeklärt. Die Triage im Spital, für den Entscheid, wer über die notwendigen Ressourcen einer Rückkehr nach Hause verfügt, kann im hektischen Spitalalltag oftmals nicht oder nicht sorgfältig genug getroffen werden. Dies, weil es häufig noch zu früh ist oder weil geriatrisches Fachwissen fehlt. Daher wird auf der AAÜP innerhalb der ersten zwei Wochen ein interdisziplinäres geriatrisches Assessment durchgeführt mit dem Ziel, das rehabilitative Potenzial der Patientin oder des Patienten zu bestimmen. Basierend auf diesem Assessment werden die rehabilitativen Ziele und die therapeutischen Massnahmen geplant. Das Therapieprogramm ist weniger intensiv als in einer Reha-Klinik (=Slow Stream Rehabilitation), die Patientinnen und Patienten haben dafür mehr Zeit, da sie bis acht Wochen auf der AAÜP bleiben. Dies gibt auch Patientinnen und Patienten mit einer leichten bis mittelschweren Demenz die Möglichkeit, von rehabilitativen Massnahmen zu profitieren und wieder nach Haus auszutreten. In einer Reha-Klinik, insbesondere in einer nicht geriatrischen Reha-Klinik sind demenzkranke Menschen überfordert.

Für zukünftige Langzeitpatienten wird von der AAÜP aus ein dem individuellen Bedarf entsprechendes Wohn- und Betreuungsangebot gesucht.

Diese Vorgehensweise mit einem interdisziplinären Assessment zur Bestimmung des Rehabilitationspotenzials ist in Rehabilitationseinrichtungen etabliert (Leach 2010 / Wade 2009). Für Langzeitpflegeinstitutionen ist sie jedoch neu. Die Slow Stream Rehabilitation geht weit über die gesetzlich als aktivierende Pflege definierte Übergangspflege hinaus. Aktivierende Pflege alleine reicht aus meiner Sicht nicht aus, um allen Patientinnen und Patienten die notwendige Unterstützung zu geben, dass ein Austritt nach Hause wieder möglich ist, insbesondere innert der gesetzlich vorgeschriebenen 14 Tagen. Das Prozedere der PZZ ist aber nur in Institutionen mit einem interdisziplinären geriatrischen Team unter Leitung eines Geriaters/einer Geriaterin möglich.

Veränderungen in den PZZ seit Einführung der DRG

Veränderungen seit DRG Einführung (erstes Halbjahr hochgerechnet)

Tab. 1: Veränderungen seit DRG Einführung (erstes Halbjahr hochgerechnet)

Die Eintritte in die PZZ waren über Jahre stabil bei rund 1200 pro Jahr. Seit Einführung der DRG sind sie sprunghaft auf 1500, dann 1700 Eintritte angestiegen und scheinen sich jetzt auf gut 1700 zu stabilisieren (Tab. 1, Abb. 3). Dies bei unveränderter Bettenanzahl.

Entwicklung der Eintritte in die PZZ nach Herkunft

Abb. 3: Entwicklung der Eintritte in die PZZ nach Herkunft

Die Austritte sind parallel auf 48 Prozent der Eintritte angestiegen. Auf der AAÜP alleine treten 60 Prozent der Eintritte wieder aus. Die Patientinnen und Patienten brauchen 4-6 mal mehr Arzt- und Therapieleistungen als auf der Normalstation.

Trotz der kürzeren Aufenthaltsdauern und des schlechteren Zustands der Patientinnen und Patienten bei Übertritt, mussten 2012 nur ca. 6 Prozent der Patientinnen und Patienten innerhalb der 18 Tage-Frist, die zum gleichen DRG gehört, rehospitalisiert werden. 2013 waren es nur noch knapp 4 Prozent. Diese Tatsache widerspricht weitgehend den teilweise befürchteten ‚blutigen‘ Austritten.

Zunehmend mehr Austritte aus den PZZ werden wegen komplexen Betreuungssituationen bei Demenzerkrankung vom Team von Hausbesuche SiL zu Hause weiterbetreut.

AAÜP bewährt sich

Die Struktur und die Prozesse mit Geriatrischem Assessment auf der AAÜP bewähren sich. Vergleicht man die Austritte der Patientinnen und Patienten, die nach Schenkelhalsfraktur in ein Pflegezentrum eingetreten sind, dann konnte die Austrittsrate von 41 Prozent (vor AAÜP) sogar auf 56 Prozent mit AAÜP gesteigert werden (Abb. 4). Dies mit dem Hintergrund, dass in den USA mit Einführung der DRG viermal mehr Patientinnen und Patienten mit Schenkelhalsfrakturen in einer Langzeitinstitution verblieben als vor DRG (Fitzgerald 1988). Damit alle Patientinnen und Patienten davon profitieren können, planen die PZZ, 2015 eine zusätzliche AAÜP zu eröffnen.

Entwicklung der Eintritte mit Schenkelhals-Fraktur

Abb. 4: Entwicklung der Eintritte mit Schenkelhals-Fraktur

Die Finanzierung der Akut- und Übergangspflege ist nach wie vor unbefriedigend gelöst. Die Patientinnen und Patienten müssen für die Hotelleriekosten selbst aufkommen. Patientinnen und Patienten mit Rehabilitationspotenzial und Bedarf an Slow Stream Rehabilitation verbleiben wesentlich länger im Pflegezentrum als die vom Gesetzgeber angenommene Dauer der Übergangspflege von 14 Tagen. Im Kanton Zürich kommt erschwerend hinzu, dass es keine Institutionen mit Leistungsauftrag für geriatrische Rehabilitation gibt, die Angebote ausgerichtet auf diese spezielle Patientengruppe anbieten. Die PZZ decken mit ihrem Angebot einen Teil dieses Mankos. Es muss jedoch bedacht werden, dass damit nicht das Rehabilitationspotenzial aller Patientinnen und Patienten insbesondere ausserhalb der Stadt ausgeschöpft werden kann und dass diese Personen mit schlechterer Funktionsfähigkeit und Lebensqualität nach Hause entlassen werden oder sogar dauerhaft in einer Langezeitpflegeinstitution bleiben.

Autorin:
Dr. med. Gabriela Bieri-Brüning, Stadtärztin, Chefärztin Geriatrischer Dienst, Ärztliche Direktorin PZZ

Literaturverzeichnis:
Bieri-Brüning, Gabriela (2013). Pflegeheimplatzierung statt ‘bloody exit’? Auswirkungen der SwissDRG auf die Pflegezentren der Stadt Zürich. Schweizerische Ärztezeitung, 94:893-896.

Breuer, Markus, Ruth Baumann-Hölzle, Martin Abele und Nina Blumenfeld (2011). Vulnerable Gruppen & DRG, Schlussbericht einer qualitativen Erhebung bei Hausärzten, Spitex und Heimen zur Situation von vulnerablen Patienten und den Auswirkungen der Einführung von Fallpauschalen. Dialog Ethik.

Fitzgerald, J. M. (1988). The Care of Elderly Patients with Hip fracture. The New England Journal of Medicine. 319:1392-1397

Leach, Emma, Petrea Cornwell, Jenny Fleming und Terrance Haines (2010). Patient centered goal-setting in a subacute rehabilitation setting. Disability and Rehabilitation, 32(2):159-172.

Wade, Derick (2009). Goal setting in rehabilitation: an overview of what why and how. Clinical Rehabilitation. 23:291-295.

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