Die Zeiten, in denen es als anrüchig oder unanständig galt, über Lust, Erotik, sexuelles Verlangen und sexuelle Störungen offen zu sprechen, scheinen der Vergangenheit anzugehören. Ein differenzierter Blick zeigt jedoch, dass wir vor allem dann offen mit Sexualität umgehen, wenn sie irgendwo als generelles Thema behandelt wird. Offenheit aber bezüglich der eigenen Sexualität und der eigenen Bedürfnisse ist immer noch an einem kleinen Ort.
Der Bereich Sexualität ist, wie kaum ein anderer, von Bildern, Vorstellungen, Mythen, Erwartungen und auch Träumen geprägt. Aber Sexualität ist auch ein Bereich, der in großem Masse verletzlich ist.
Alterssexualität – ein Tabu
Alterssexualität wurde und wird immer noch verleugnet. Auch gegenteilige wissenschaftliche Erkenntnisse konnten daran bis heute nicht wirklich viel ändern. So ist Sexualität im Alter immer noch ein grosses Tabu. Im Grunde bestimmen die Jungen, was im Alter erlaubt ist. Ein altes Pärchen, Hand in Hand am See spazieren gehend, findet man reizend oder herzig. Sich diese beiden aber mit lebendiger Sexualität vorzustellen, ist uns fremd.
Diese Tabuisierung wird im institutionellen Kontext in unseren Alters- und Pflegeinstitutionen häufig wie ein roter Faden weiter geführt. Gerade im Langzeitbereich finden sich diverse Barrieren, die eine aktive Sexualität verhindern. Es mangelt an Privatsphäre, es fehlt der Partner oder die Partnerin. Aber auch körperliche Behinderung oder Beeinträchtigung und zusätzlich die Einstellungen und Haltungen der Mitarbeitenden begrenzen die Möglichkeit der Sexualität. So kann man immer wieder von Profis hören, dass Sexualität kein – oder nur in seltenen Fällen ein Thema ist. Provokativ liesse sich hier fragen, warum es kein Thema ist? Es ist eine Selbstverständlichkeit des pflegerischen Alltags, zu Mobilität und Aktivität oder zu guter Ernährung zu motivieren. Ob Sexualität und sexuelle Wünsche anzusprechen auch zum pflegerischen Alltag gehört, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mit einem eindeutigen Ja beantwortet werden. In Anbetracht dessen, dass Sexualität ein sehr persönliches und verletzliches Thema ist, kann es sicher nicht gleich behandelt werden wie einige andere ATLs (Aktivitäten des täglichen Lebens), aber vergessen oder vermieden werden darf sie eben auch nicht.
Auch Sexualität in der Interaktion zwischen zu Pflegenden und Pflegepersonen wird vergleichsweise wenig beachtet. Dabei beinhalten pflegerische Tätigkeiten Berührungen, enge und intimste Kontakte sowie Konfrontation mit Nacktheit, die außerhalb des pflegerischen Kontextes bereits als sexuelles Handeln gedeutet würden.
Enttabuisierung – einige Ideen
Gute Kommunikation:
Hier ist nun gute Kommunikation und Begleitung gefragt. So kann bereits die Art und Weise, wann und wie dieses Thema angesprochen wird, entscheidend zum Umgang damit beitragen. Also keine Zwischen-Tür-und-Angel-Gespräche.
Wissensvermittlung:
Das geduldige Vermitteln von Wissen im Falle von verändertem Verhalten bei Demenz (sich neu verlieben, Ehefrau nicht erkennen oder enthemmtes Verhalten) kann Verständnis schaffen und bei der Verarbeitung helfen.
Haltung:
Die Mitarbeitenden können daran arbeiten, das Thema zu enttabuisieren, indem der Wunsch nach Sexualität als menschliche Ressource akzeptiert wird und Bedürfnisse und deren Signale thematisiert werden. Gewünscht wäre ein Klima der warmherzigen Akzeptanz, das hilft, die eigene Scham zu überwinden bei gleichzeitiger Professionalität.
Selbstreflexion:
Dazu gehört auch, die eigene Haltung in den Teams immer wieder zu prüfen. Folgende Fragen können dabei hilfreich sein: Wann und warum schämen wir uns? Welche Bilder/Vorstellungen von Sexualität halten wir aus? Wann ist etwas peinlich? Wie weit würden wir selbst gehen als Ehefrau, als erwachsenes Kind? Wie möchten wir selbst, dass man im Alter mit unserer Sexualität umgeht?
Offenheit für neue Lösungsansätze:
Die Pflegeinstitutionen könnten darüber nachdenken, ob es andere Angebote für die Bewohnenden geben kann. Der Einsatz von Berührerinnen oder in Einzelfällen auch einer Prostituierten können beispielsweise sexuell aufgeladene Situationen deutlich entspannen.
Zusammengefasst können im Umgang mit Sexualität im Pflegeheim und den Angehörigen sicher noch einige Schritte in Richtung Professionalisierung eingeleitet werden. Organisationen, Institutionen und ihre Mitarbeitenden – wir alle sollten uns konstruktiv mit der Sexualität alter Menschen auseinandersetzen und weiter daran arbeiten, dieses Tabu aufzulösen.