Selbstmord, die letzte aller Türen, doch nie hat man an alle schon geklopft

Mit ihrer Suizidpräventionsstrategie möchte die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich Suizidversuche und Suizide in Einrichtungen der Langzeitpflege beeinflussen. Im Zusammenhang mit der Strategie ist ab 2018 ein institutionsspezifisches Suizidpräventionskonzept Pflicht.

Im Rahmen der Suizidpräventionsstrategie des Kantons Zürich führte die Hochschule für Heilpädagogik im Jahr 2016 eine Studie durch, die auf den Daten von 2006 – 2015 beruht (Wicki, 2016). Aufgrund der Ergebnisse dieser Studie erteilte die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich im April 2017 den Alters- und Pflegeheimen den Auftrag, ein Konzept zur Suizidprävention zu erstellen. Ziel der kantonalen Strategie ist es, die Anzahl von Suiziden und Suizidversuchen inkl. assistierter Suizide in den Einrichtungen der Langzeitpflege mittels präventiver Massnahmen zu reduzieren.

In den Jahren 2006 bis 2015 gab es in den Pflegezentren der Stadt Zürich (PZZ) insgesamt fünf Suizide und zwölf assistierte Suizide. Das entspricht einer Ratio von 31/100‘000 bzw. 75/100‘000 (Wicki, 2016), die nur unwesentlich von der altersgruppenspezifischen Ratio in der Schweizer Bevölkerung abweicht (OBSAN, 2016).

Professioneller Umgang

Auf den ersten Blick erscheint der Suizid in den PZZ damit als seltene Todesursache. Es ist aber sehr wichtig zu bemerken, dass der Suizid selten mit objektiv messbarer und aus somatischer Sicht schlechter Lebensqualität korreliert. Viel häufiger, dass heisst in ca. 90 % der Fälle, besteht ein Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung, meist Depressionen. Im Rahmen der psychischen Erkrankung werden körperliche Gebrechen oder die eigenen geistigen, körperlichen und sozialen Ressourcen viel negativer reflektiert als sie von aussen betrachtet erscheinen.

Der professionelle Umgang mit dem Thema Suizid soll helfen, Lebensjahre unserer Bewohnerinnen und Bewohner zu retten, im Bewusstsein, dass diese häufig von guter Lebensqualität geprägt sein können, was gemäss dem Leitbild der PZZ unsere Kernaufgabe darstellt: «Den Jahren Leben geben».

Die Trennung zwischen einem Suizid im eigentlichen Sinn und einem assistierten Suizid scheint in vielen Fällen nicht sinnvoll. In beiden Fällen führt der Mensch mit einer selbstständigen Handlung den Tod gewollt herbei, und in beiden Fällen handelt es sich damit um keine natürliche Todesursache. Das Vorhandensein von Organisationen wie EXIT, die die Möglichkeit des assistierten Suizids anbieten, kann aus Sicht der Psychiatrie in manchen Fällen mit dem entlastenden Effekt verglichen werden, den ein gefasster Entschluss und Plan zum Suizid bei schweren Depressionen haben kann. Wenn Menschen mit einer Schweren Depression, den Entschluss zu einem Suizid gefasst haben beobachtet man von aussen häufig, dass die eigentlichen Symptome der Depression, die Niedergeschlagenheit, die Störung des Antriebs und die Freudlosigkeit in den Hintergrund treten.

Auch ein assistierter Suizid geht im Betreuungsumfeld eines Menschen in Not mit einer grossen Ohnmacht einher und hinterlässt Betreuungs- und Bezugspersonen mit Gefühlen von Insuffizienz und Hilflosigkeit.

Hinweise wahrnehmen und reagieren

Ein professioneller Umgang mit dem Thema Suizid setzt voraus, dass mit der Not der betroffenen Personen in einem angemessenen Ausmass umgegangen wird. Nie wirkt es sich negativ aus, wenn man den aktiven Dialog über das Thema sucht und den Bewohnerinnen und Bewohnern damit signalisiert, dass die Not das Betreuungsumfeld interessiert. Es gehört dann zu den Aufgaben von Pflegenden, Ärztinnen und Ärzten, den Ursachen für die Not auf den Grund zu gehen. Es geht darum, Unterstützungsangebote zu initiieren oder zu optimieren und somit alternative Lösungen für die Lebenssituation zu eröffnen. In den meisten Fällen erlebt man typische kognitive Verzerrungen, wie sie im Rahmen von Depressionen auftreten und die für den von Suizidgedanken belasteten Menschen sehr typisch sind.

Wichtig ist es schon beim Kennenlernen neuer Bewohnerinnen und Bewohner Hinweise wahrzunehmen, dass eine Depression vorliegt oder auch zu wissen das stark belastende Lebensereignisse mit einer erhöhten Suizidalität einhergehen können. Hoffnungslosigkeit in Zusammenhang mit Erkrankungen oder Schmerzen, ein Suizidversuch in der Vorgeschichte oder auch Suizide bzw. Suizidversuche in der Familie sind unbedingt zu erfassen. Äußerungen von Lebensüberdruss sollten immer als Hilferuf aufgegriffen und mit einem Gesprächsangebot erwidert werden. Aber auch Handlungsmuster wie das endgültige Regeln von Angelegenheiten, das Verschenken von Wertgegenständen, die Erstellung eines Testamentes oder offen ausgesprochene «Wiedervereinigungswünsche» sind nicht selten Hinweise für eine innere Not, die mit Suizidalität einhergehen kann.

Interdisziplinäres Vorgehen

Im Gespräch mit Menschen, bei denen man solche Warnzeichen wahrnimmt, ist zu raten, dass man sich vom Allgemeinen dem Konkreten annähert. Besteht ein passiver Todeswunsch muss weiter nach Suizidgedanken und Suizidabsichten gefragt werden. Bestehen Suizidabsichten, ist dringend auch zu fragen, ob schon konkrete Ideen bestehen, wie die Bewohnerin oder der Bewohner sich den Suizid vorstellen würde, ob schon eine konkrete Planung bestehe oder gar Vorbereitungen für die Durchführung getroffen sind. Für eine Bewertung und die Frage, welche Massnahmen getroffen werden müssen, ist dann immer entscheidend, wie hoch der akute Handlungsdruck eingeschätzt wird. Ein interdisziplinäres Vorgehen unter Einbezug des Arztdienstes, wo irgend möglich auch eines Gerontopsychiaters, ist in jedem Fall indiziert, wenn aktive Todeswünsche von Bewohnerinnen und Bewohnern geäussert werden.

Beeindruckend ist immer die Überwindung eines Todeswunsches mit dem Leben. Sie stellt alle depressiven Überlegungen ausser Frage.

«Um Himmelswillen, rief (die alte Dame) und zeigte auf die Wiese‚ sie ist ja gelb von Löwenzahn! Der Dichter schaute auf und dachte: Wie schön – die ganze Wiese erzählt von der Sonne.» (Reiner Kunze, 1984)

Literatur

Kunze, R. 1984. Gespräch mit der Amsel. Fischer, Frankfurt.

Wicki, M. 2016. 2016. Suizidprävention in den Alters- und Pflegeheimen des Kantons Zürich. Bericht zu Händen der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich. https://www.suizidpraevention-zh.ch/fileadmin/user_upload/UserUpload/schwerpunktprogramm/Projekte/161124_Bericht_Suizidpraev_Heime_ZH.pdf

Schweizerisches Gesundheitsobservatorium OBSAN, 2016. Suizid und Sterbehilferate. https://www.obsan.admin.ch/de/indikatoren/suizid

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