Organisationen im Langzeitpflegebereich stehen in einem zunehmend intensiven Spannungsfeld. Wirtschaftliche Ziele müssen erreicht werden, der Wettbewerb nimmt stetig zu. Die Anforderungen an Mitarbeitende aller Bereiche steigen aufgrund der immer komplexer werdenden Krankheitsbilder und der Pflegeintensität an. Wie sollen Organisationen der Langzeitpflege mit dem Thema Resilienz umgehen?
Re-si-li-enz: die innere Widerstandskraft
Der Begriff Resilienz stammt ursprünglich aus der Physik und bezeichnet die Fähigkeit eines Werkstoffes, sich verformen zu lassen und dennoch in die ursprüngliche Form zurückzufinden (engl. resilience = Elastizität, Spannkraft,lat. resilire = zurückspringen, abprallen, deutsch = Widerstandskraft / Widerstandsfähigkeit). Als Resilienz wird auch die psychische Widerstandskraft bezeichnet, also die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen. Im Wortsinn bedeutet Resilienz demnach die Fähigkeit «zurückzuspringen», das heisst nach Belastungen oder Störungen in das Ausgangsstadium zurückzukehren.
Die Resilienzforschung geht unter anderem auch auf die Entwicklungspsychologin Emmy Werner zurück. Sie begann 1955 eine Langzeitstudie an Kindern der Insel Kauai im Hawaii-Archipel und erforschte deren Werdegang. Ein knappes Drittel der Kinder, die unter prekären Verhältnissen aufwuchsen, entwickelten sich als Erwachsene trotz schlechten Startbedingungen zu angesehenen Mitgliedern ihrer Gemeinden. Emmy Werner nannte sie «verletzlich, aber unbesiegbar» – mit einem Wort: resilient.
Seit den 1990er Jahren wird dieser Forschungsschwerpunkt um die Frage erweitert, was Erwachsene trotz schwieriger Umstände gesund hält. Emmy Werners Erkenntnis aus der Studie: Es gab zumindest einen Menschen im Leben dieses Kindes, der stets zu ihnen hielt. Das soziale Umfeld, das einen Menschen fördert und im Krisenfall unterstützt, spielt eine wesentliche Rolle. Resilienz-Faktoren werden mittlerweile auf der Ebene Individuum, Team und Unternehmen untersucht.
2020: Resilienz und Krisen
Jeden Tag erreichen uns Schlagzeilen über die Auswirkungen der COVID19-Pandemie. In manchen Ländern kommen die Gesundheitssysteme ans Limit und die Wirtschaft gerät ins Wanken. Auf die Frage, warum das Krisenmanagement im Umgang mit COVID19 mancherorts so schwierig erscheint, während in anderen Bereichen die Auswirkungen erstaunlich gering sind oder die Krise sogar neue Chancen bietet, kann uns das Konzept der Resilienz Antworten geben.
Auch auf persönlicher Ebene: Wir erleben alle die Corona-Zeit als herausfordernd. Vor allem das Gesundheitspersonal ist mit einer Doppelbelastung konfrontiert: Von Sorgen um die eigene Gesundheit, um die der Angehörigen und zugleich gefordert in der täglichen Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner – die einen schaffen das locker, andere kommen an die Grenzen der persönlichen Resilienzfähigkeit.
Die individuelle Widerstandskraft und die Ausprägung einzelner Schlüsselkompetenzen ist sehr unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Krise ist für die einen eine grosse Belastung, für andere fast eine «willkommene» Herausforderung. Das soziale Miteinander befindet sich dabei in einer enormen Bewährungsprobe, was uns unsere Erfahrungen während des Lockdowns gezeigt haben.
Wie können Führungskräfte Resilienz im Unternehmen fördern?
Resilienz als Begriff der Gesundheitserhaltung und -förderung sowie der organisationalen Entwicklung sollte auf allen Organisationsebenen bekannt sein. Dabei sind die organisationale Ebene (Strategie) und die Führungsebene (operative Ebene) zentral im Sinne einer Vorbildfunktion. Die strategische Ebene muss die (psychische) Gesundheit der Mitarbeitenden ebenso im Fokus haben wie die Führungsentwicklung.
In der Praxis sind Resilienzfaktoren oft in Führungsleitsätzen wiederzufinden.
Auf Organisationsebene sind in den Pflegezentren der Stadt Zürich Gesundheits-, Wissens-, Innovations-, Fehler-, Risiko- und Umweltmanagement stark verankerte Prozesse. Diese strategischen Themenfelder dienen wiederum als Wissensmodule für Führungskräfte, beispielsweise für die Themen Diversity und Resilienz.
Resilienz stärken als Führungsperson
Geführte Leitfadeninterviews in zwei Organisationen der Langzeitpflege im Rahmen der Masterarbeit der Autorin haben folgende Handlungsfelder aus Sicht von Führungspersonen ergeben:
- Achtsamer Umgang mit sich und anderen
- in Beziehung sein und bleiben und somit Beziehungen aktiv gestalten
- Coaching anbieten und selber in Anspruch nehmen
- Konflikte aktiv angehen
- Angebote aus dem Gesundheitsmanagement etablieren
- Fallbesprechungen bei komplexen Betreuungssituationen ermöglichen
- Ethische Entscheidungsfindungen ermöglichen
- Sinn und Werte vermitteln und leben (Führungsgrundsätze, Leitbild)
- Mitarbeitende in Entscheidungen einbeziehen, und Entscheidungsabläufe transparent machen
- Kommunikation und Information bewusst gestalten
- Offene Fehlerkultur leben
- Sich mit anderen austauschen und vernetzen
- Orientierung durch klare Zielvereinbarung geben
Diese Aufzählung ist nicht abschliessend.
Fazit
Im Wissen, dass Anforderungen und Belastungen für Mitarbeitende in der Langzeitpflege weiter steigen werden, ist der Einbezug von und die Wissensvermittlung über Resilienz sehr zu empfehlen. Diese Ausrichtung sollte in der Unternehmensstrategie gestützt und verankert werden.
Aus diesen Gründen sehe ich die Resilienzförderung als wirksame Stressprävention sowohl für Personen als auch für Organisationen.
Weiterführende Literatur
Masterarbeit MAS Management im Sozial- und Gesundheitswesen «Resilienz- ein Erfolgsfaktor im steten Wandel » Ariane Meier und Karin Meier (2017)
Bengel, Jürgen & Lyssenko, Lysa, (2012). Resilienz und psychische Schutzfaktoren von Gesundheit im Erwachsenenalter. Stand der Forschung zu psychologischen Schutzfaktoren von Gesundheit und Erwachsenen. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Richter, Dirk & Heckemann, Birgit (2014). Resilienz bei Mitarbeitenden im Gesundheitswesen Bedarfsermittlung und Schulung im Umgang mit psychosozialen Belastungen am Arbeitsplatz. Bern: Berner Fachhochschule Fachbereich Gesundheit
Reivich, Karen & Shatté, Andre (2003). The Resilience Factor. 7 Keys to Finding Your Inner Strength and Overcoming Life’s Hurdles. New York: Broadway Books.
Kommentar
Dieser Anspruch ist schon lange nötig‼️ Das wäre ein Paradigma Wechsel ?
Resilienz ist «unsichtbar», doch der Härtetest der aktuellen Corona-Krise hat die Resilienz von Staaten, Unternehmungen, Organisationen und Personen ans Tageslicht gebracht und gleichzeitig die Notwendigkeit aufgezeigt, sich mit diesem Thema ernsthaft auseinanderzusetzten, um gestärkt in die Zukunft zu gehen.