Partizipation in der Altersarbeit – ein Gebot der Stunde

Allzu oft nutzt die Politik noch negative Altersbilder. Doch es findet eine Veränderung statt und der Nutzen des Engagements älterer Menschen für die Gesellschaft wird geschätzt. Die demografische Entwicklung ist dabei in vielerlei Hinsicht ein Katalysator für die Diskussion. Partizipative Altersarbeit ist zu einem Gebot der Stunde geworden. Nun müssen noch kleine Gemeinden erreicht und unterstützt werden.

Demografischer Wandel, Überalterung, Pflegekosten, Bettenplanung: alles Begrifflichkeiten, welche Politiker*innen landauf, landab gerne benutzen. Die älteren Menschen werden als Problem dargestellt und ihre Präsenz führt dazu, dass die Politik endlich handeln muss. Investitionen in die Jugend und Familien werden gefordert, um eine Verjüngung der Gesellschaft zu erreichen. Ziel jeden Kantons ist es, möglichst viele junge Menschen anzuziehen. Lange Zeit erstellten Kantone und Gemeinden deshalb Alterskonzepte, welche fast ausschliesslich den Ausbau von Altersheimplätzen und Pflegeleistungen vorsahen. Diese Zeit ist glücklicherweise vorüber. Es hat ein Umdenken stattgefunden, das sich in vielen Konzepten niederschlägt. Die ältere Bevölkerung soll künftig vermehrt mitreden und mitentscheiden dürfen. Das ist eine erfreuliche Tendenz. Doch der Weg vom Gesagten zum Gemachten ist noch weit.

Autonomie als Grundbedürfnis

Autonomie ist kein Grundbedürfnis, welches nur ältere Menschen betrifft. Bereits mein kleiner zweijähriger Sohn schreit – im wahrsten Sinne des Wortes – nach Selbstbestimmung. Er möchte den Brei selber essen und die Zähne selber putzen. Beides klappt meistens noch nicht. Aber das Bedürfnis ist ihm in die Wiege gelegt worden. Es entwickelt sich im Laufe des Lebens noch weiter und manifestiert sich im Alter. Politik tut gut daran, dieses Bedürfnis ernst zu nehmen und es als Ressource für das Gemeinwesen anzuerkennen. Indem Kantone und Gemeinden ältere Menschen einladen, sich zu ihrem Älterwerden Gedanken zu machen, machen sie einen ersten Schritt. Doch das Potenzial älterer Menschen und ihre Lebens- und Berufserfahrung können sie noch mehr nutzen und den Wunsch nach einem autonomen Leben auch im hohen Alter fördern.

Angst vor Partizipation

Viele Gemeinden tun sich noch immer schwer mit Partizipation. Es bestehen Ängste, welche die Rückmeldungen der älteren Leute oder den Aufwand für solche Prozesse betreffen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Die Ängste sind unbegründet. Die Rückmeldungen und Bedürfnisse sind meist sehr wohlwollend und zurückhaltend. Autonome Wohnangebote, übersichtliche Informationen, Möglichkeiten für Begegnung und zeitgemässe Formen, sich freiwillig zu engagieren, sind gewünscht: Weniger Vereinsvorstand, mehr kleine, begrenzte Projekte oder Einsätze sollen es ein. Und meistens sind die Leute gewillt und motiviert, sich selber zu engagieren. Was will eine Gemeinde mehr? Auch der Aufwand für solche Prozesse hält sich in Grenzen. Eine Einladung, Räumlichkeiten, ein halber Tag Vor- und Nachbereitung ist nicht viel. Doch die Dankbarkeit ist gross, das Engagement hilft der Politik und ganz nebenbei tragen die Prozesse dazu bei, dass die Leute länger autonom und damit gesund bleiben. Das schlägt sich auch in den Rechnungen der Gemeinden positiv nieder.

Partizipation führt zu Vernetzung

Ein erfreulicher Nebeneffekt von partizipativen Prozessen ist es, dass sich die Akteur*innen der kommunalen Altersarbeit besser vernetzen. In der Vorbereitung steckt man die Köpfe zusammen. Die bisherigen Angebote und Aktivitäten für ältere Menschen werden zusammengetragen und es ergibt sich ein Gesamtbild der Altersarbeit. Dieses Bild ermöglicht eine Diskussion um Angebotsüberschneidungen und -lücken. Basierend auf den Rückmeldungen der älteren Bevölkerung können die Organisationen so gezielt Angebote besser bewerben, anpassen oder gemeinsam neue Angebote aufbauen.

Fordernde Generation

Neulich wurden die neusten Zahlen zur demografischen Entwicklung von Obsan publiziert[1]. Die Babyboomer werden sicht- und spürbar mehr. In der Zwischenzeit sollte die Politik nicht nur den Mehrwert von Partizipation erkannt haben. Es ist sogar ein Gebot der Stunde und eine Notwendigkeit. Es kommt jedoch eine Generation ins Alter, welche ihre Bedürfnisse lautstark äussert und politisch formuliert. Das ist begrüssenswert. Die heutigen älteren Menschen sind mutig und fordernd. Diese politischen und gesellschaftlichen Umstände fördern partizipative Aktivitäten. Und es gibt immer mehr gute Beispiele oder Programme, welche Gemeinden unterstützen.

Kleine Gemeinden erreichen

Die grösste Herausforderung liegt nun darin, kleine und mittelgrosse Gemeinden mit der Idee zu erreichen und zu unterstützen. Oft sind dort kaum personelle Ressourcen vorhanden oder Programme zu aufwendig. Das schreckt die ehrenamtlichen Behördenmitglieder ab oder übersteigt die Kapazitäten der kleinen Verwaltung. Gerontologie CH versucht hier einen Beitrag zu leisten. Aber auch kantonale Fachstellen für Alter und Gesundheitsförderung sind wichtige Impulsgeber. Gemeindeverbände haben ebenfalls einen guten Draht zu ihren Mitgliedern. Für Themen wie Finanzen oder Raumplanung gibt man Geld aus und stellt Fachleute an. Das sollten Gemeinden auch bei Alterspolitik tun und Investitionen in externe Unterstützung tätigen.

Zuversicht vorhanden

Der Weg ist noch lange – ja. Aber ich bin zuversichtlich, wenn ich sehe, was in den Kantonen läuft. Das Thema ist angekommen und muss nun einfach noch überall umgesetzt werden. Ich bin überzeugt, dass partizipative Altersarbeit einen riesigen Nutzen bringt. Es ist eine Win-Win-Situation. Gleichzeitig deckt es das Bedürfnis älterer Menschen, sich einzubringen und autonom zu bleiben sowie den Wunsch der Politik nach Engagement der Bevölkerung und kostengünstigen politischen Lösungen. Was will man mehr?


[1] Link zum Artikel auf GERONTOLOGIE CH und zur Studie

Alle
Bildung
Dialog
Forschung
Praxis

Kommentar Schreiben

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert