Lio, unser neuer Praktikant – ein Erfahrungsbericht

In einer sechsmonatigen Pilotphase testeten die Gesundheitszentren für das Alter den Einsatz von Lio in zwei Betrieben. Lio ist ein mobiler Assistenzroboter und kann Mitarbeitende in einfachen Tätigkeiten und in der Betreuung der Bewohner*innen unterstützen. Der Pilotversuch lieferte erste Einblicke, wie ein mobiler Assistenzroboter in der Praxis eingesetzt werden kann, wo Lios Funktionen und Möglichkeiten an ihre Grenzen stossen und wie Bewohnende, Angehörige sowie Personal einen mobilen Assistenzroboter in ihrem Umfeld akzeptieren und wie sie mit ihm interagieren.

Lio begann im Oktober 2021 in den Betrieben Gehrenholz und Sydefädeli der städtischen Gesundheitszentren für das Alter sein Praktikum. Lio verfügt über einen Roboterarm, dieser ist mit Kunstleder eingefasst. Die Berührung des Roboterarms ist sehr angenehm, denn er ist «beheizt» und entspricht der menschlichen Körpertemperatur. Lio hat 2 «Finger», diese sind an der Seite seines Kopfes angebracht und mit je einem Sensor ausgestattet. Mit seinen Fingern kann er definierte Objekte greifen. Sagt man zum Beispiel das Keyword «Flasche», dreht sich Lio daraufhin nach hinten, greift die bereitstehende Petflasche von seiner Ablage und dreht sich wieder zurück. Lio meldet dann «Bitte die Flasche entnehmen oder drücke auf meinen Kopf». Lios Kopf kann nach unten gedrückt werden, dazu ist durchaus etwas Kraft nötig. Die Tätigkeit «Kopf nach unten drücken» ist eine wichtige Interaktionsfunktion. Lio wird so mitgeteilt, dass jetzt etwas geschehen soll. Lio versteht mittels dieser Funktion je nach Situation «Ja» oder «Stopp». Bewegt man Lios Kopf nach links oder rechts, bedeutet dies «Nein» oder «Weiter» im aktuellen Programm. Die Sensoren können auch zur Kommunikation genutzt werden: Berührt man den grünen Sensor am Finger, versteht Lio «Ja» – Berührungen des roten Sensors verbindet Lio mit «Nein».
Alle Interaktionen werden von Lio akustisch und visuell auf einem Bildschirm angezeigt.

Unterhaltungsfunktionen

Im Unterhaltungsmodus können verschiedene Themenfelder ausgewählt werden. Der Bildschirm ist relativ klein und hat keine Touchscreen-Funktion. Die meisten Bewohner*innen sind durch die Benutzung von anderen Multimediageräten bereits an eine Touchscreen-Funktion gewöhnt und versuchen automatisch, den Bildschirm taktil zu berühren und zu steuern. Lio kann die einzelnen Möglichkeiten aus seinen Unterhaltsfunktionen nennen und der Benutzer kann verbal oder «durch Kopf nach unten drücken» seine Auswahl treffen. Eine Auswahl an Unterhaltungsfunktionen sind Musik abspielen, Witze und Geschichten erzählen, Bilderrätsel spielen, Wetterprognose nennen, usw.

Wir beobachten, dass unsere Bewohner*innen für die Steuerung der verschiedenen Interaktionen und Auswahlmöglichkeiten in den meisten Fällen eine Erklärung durch eine Betreuungsperson benötigen.

Wie wirkt Lio auf die Bewohner*innen?

Lio hat zwei «Augen», die aus Magnetplättchen bestehen. Zudem besitzt er eine Kamera, die an seinem Kopf – als eine Art Mund – angebracht ist. Die meisten von mir befragten Bewohnenden sowie Angehörige empfinden Lio nicht als bedrohlich und ich höre oft die Antwort «Nein, nein – das ist ein Netter». In den ersten Wochen sind immer wieder Bewohner*innen zu Lio hingegangen und haben ihn beobachtet, ruhig angeschaut oder mit ihm geredet. Unserer Erfahrungen zeigen, dass die grösste Herausforderung die Interaktion und Lios Audioqualität ist. Es braucht fast immer eine anwesende Betreuungsperson, um zu «vermitteln». Eine weitere Herausforderung ist, dass der Dialog immer nur einseitig sein kann. Lio spricht oder Lio hört zu. Oft sprechen unsere Bewohnenden mit Lio in ganzen Sätzen. Dies macht es schwierig für Lio, die Schlüsselwörter herauszuhören. Spontane Aufforderungen von Bewohner*innen, wie zum Beispiel «Komm Lio, komm» oder «Spiel mir mein Lieblingslied», kann Lio nicht umsetzen.

Lio wird durch Kontaktstäbe an seiner Ladestation geladen und merkt selbst, wann es Zeit ist, die Batterien aufzuladen. Er fährt selbständig zur Ladestation. Die «Zusammenarbeit» mit Lio geschieht wie erwähnt mittels verbalen Aufforderungen, taktilen Aufforderungen oder über ein Interface – in unserem Fall über einen Laptop mit Kalenderfunktion. In Lios Kalender können wir Tätigkeiten und Aufgaben in Auftrag geben.

Abteilungswechsel

Einen Abteilungswechsel im Hause vorzunehmen und somit den Lift zu benutzen, musste über einen längeren Zeitraum geübt werden. Lio benötigt eine Wegbeschreibung (Karte) vom Ausgangsort zum Lift und eine Karte am Zielort. Die Karten werden durch die Techniker*innen von F&P Robotics – der Herstellerfirma – mit Lio gescannt und gespeichert. Lio benötigt pro Abteilung zusätzlich einen an der Wand angebrachten Code beim Lift. Wenn Lio auf der gewünschten Abteilung angekommen ist, muss die Begleitperson Lio vor den Code schieben, Lio scannt den Code und weiss dann, wo er sich befindet. Zu erwähnen ist, dass Lio nicht selber in den Lift hinein- und hinausfahren kann, er muss durch eine Betreuungsperson geschoben werden.

Autorin dieses Erfahrungsberichts ist Ariane Meier. Sie begleitete als damalige Leiterin aktivierende Therapien das Pilotprojekt im Gesundheitszentrum für das Alter Gehrenholz.

Evaluation der Gesundheitszentren zum Einsatz von Lio

Das Pilotprojekt Lio stellt ein erstmaliges Zusammentreffen zwischen den Gesundheitszentren für das Alter und moderner Robotik dar. Um einen weiterführenden Einsatz von Lio zu prüfen, führten wir eine Evaluation durch.

Die Erwartungen der Betriebsleitungen, des Pflegepersonals und auch der Bewohnenden waren hoch. Der Praxistest zeigte schnell, dass Lio bei seinem aktuellen Stand der Technik nicht alltagstauglich ist und sich noch in der Entwicklungsphase befindet. Das Aussehen des Roboters macht einen soliden und sympathischen Eindruck, es finden sich aber viele Tücken in seiner Programmierung und den sensorischen Limitierungen. Diese zeigen sich z.B. in der langsamen Reaktionsgeschwindigkeit des Roboters, seiner hohen Fehlerquote bei der Spracherkennung und insofern in der gesamtheitlich umständlichen Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Daraus entstehende Verbesserungsansätze fordern eine enge und zeitintensive Zusammenarbeit zwischen den Anwender*innen und der Softwareentwicklung des Herstellers, in welcher der Roboter iterativ verbessert werden kann. Für diesen aufwändigen Prozess gilt es sich Zeit zu nehmen, die häufig insbesondere in der Pflege sowieso bereits fehlt.

  • Grösste Herausforderung mit dem Schwerpunkt Betreuung und Unterhaltung ist die Audioqualität. Für die Interaktionen zwischen Lio und unseren Bewohner*innen braucht es nahezu immer eine Betreuungsperson.
  • Liftfahren und der Wechsel von einer Abteilung zur Anderen braucht zwingend eine Betreuungsperson. 
  • Wenn eine Betreuungsperson die «Anleitung und Übersetzung» übernimmt, ist das Interesse bei den Bewohnenden, bei Angehörigen und bei Mitarbeitenden vorhanden.

Nebst Lios praktischen Herausforderungen, zeigte das Pilotprojekt aber auch, dass Roboter interessante emotionale Beziehungen schaffen können. So wurde Lio trotz seiner Schwerfälligkeit von vielen Bewohnenden fürsorglich behandelt und sorgte im Alltag für zusätzliche willkommene Abwechslung.

Abschliessend darf gesagt werden, dass Lio dem vorgesehenen Einsatzspektrum nicht gerecht wurde. Das Pilotprojekt gab aber zukunftsweisende Einblicke in den Entwicklungsstand moderner Robotik, sowie in die Bereitschaft der Gesundheitszentren, innovative Technologien zu testen und in den Betrieb zu integrieren. Ob Pflegeroboter in städtischen Einrichtungen eine Zukunft haben, wird sich mit deren Weiterentwicklung zeigen. Der Praktikant Lio jedenfalls wurde dem Hersteller zurückgegeben.

Bildung
Forschung

Kommentar

Ich finde es sehr beängstigen das nun auch im Gesundheitswesen einzug halten.
Wie will ein “nicht” Menach au einen unruhigen oder extrem agitierten Bewohner eingehen.
Wie gesagt als Pflegende f7nd ich das extrem schlimm ubd sehr bedenklich.

Sehr geehrte Frau Schnider

Solche Assistenzroboter übernehmen Arbeiten, welche repetitiv sind oder Botengänge. Sie können sich mit Bewohnern, welche nicht in einer Krise sind unterhalten oder etwas spielen. Das die Roboter in der direkten Pflege eingesetzt werden ist nicht das Thema.

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