Als ich letztes Jahr mit einer Studienkollegin nach einem Thema für unsere Bachelorarbeit suchte, erzählte sie von einer Mitteilung, die sie kürzlich bei der Arbeit erhalten hatte. Eine interne Umfrage in einem Kantonsspital der Schweiz hatte ergeben, dass sich Patient*innen meist zu wenig über ihre Medikamente und Änderungen informiert fühlen. Vielleicht fragen Sie sich jetzt, ob die Informationsgabe zu Medikamenten nicht die Aufgabe von Ärzt*innen ist? Diese Frage stellten wir uns auch und fanden so unser Thema für die Abschlussarbeit.
Informationsgabe zur Medikamenteneinnahme: ein nationales und internationales Problem
Am häufigsten sind Menschen ab 65 Jahren von Mehrfacherkrankungen betroffen. Arzneimittel wie beispielsweise Blutdrucksenker müssen dabei in der Regel täglich eingenommen werden. Im Jahr 2017 erfasst das Bundesamt für Statistik insgesamt 962 735 Spitaleinweisungen. Davon war fast jede zweite Person über 75 Jahre alt. Die Falscheinnahme von Medikamenten wird als einer der Gründe für den Spitalaufenthalt genannt (Bundesamt für Statistik, 2017). Auch die Weltgesundheitsorganisation machte im gleichen Jahr auf dieses Problem aufmerksam (Sheikh et al., 2017). Betroffene Personen stehen nach dem Austritt vor verschiedenen Problemen, wenn ihnen der Umgang mit den Medikamenten nicht richtig erklärt wird. Für Patient*innen ist es schwierig, allen vorgenommenen Änderungen zu folgen, da ab Eintritt ins Spital die Pflege die Medikamente verwaltet: ärztliche Verordnungen werden nicht verstanden, nicht alle Medikamente sind vorhanden, zu wenig Informationen zu möglichen Nebenwirkungen wurden vermittelt und Patient*innen wissen nicht, worauf sie achten müssen. Dadurch werden die Medikamente falsch oder gar nicht eingenommen und es kommt zu gesundheitlichen Schäden und/oder einem erneuten Spitalaufenthalt. Viele Studien weisen darauf hin, dass Patient*innen ärztliche Anordnungen eher befolgen und zufriedener sind, wenn sie angepasst informiert werden. Der Einbezug in den Behandlungsprozess und an Entscheidungen als ebenbürtige Partner*in trägt zur Lebensqualität bei. Obwohl das Problem bekannt ist, scheint es Pflegefachpersonen an Wissen zu fehlen, welche Informationen geriatrische Patient*innen benötigen und wie man diese am geeignetsten vermittelt. Aufgrund der Nähe zu den Patient*innen übernehmen Pflegefachpersonen dabei eine tragende Rolle.
Wie erleben geriatrische Patient*innen die Informationsgabe zu ihrer Medikation durch das Gesundheitspersonal des Akutspitals oder der Rehabilitationsklinik?
Es stellte sich heraus, dass ältere Patient*innen die Entscheidungen zu Medikamentenänderungen häufig nicht in Frage stellten oder sich nicht am Entscheidungsprozess beteiligten. Dies lag daran, dass sie sich nicht in der Position sahen, die Autorität des Gesundheitspersonals zu hinterfragen. Sie wollten nicht mit ihnen streiten, vertrauten auf die Erfahrungen des Gesundheitspersonals oder stuften ihr eigens Wissen als zu niedrig ein. Anderen Patient*innen war es äusserst wichtig, im Entscheidungsprozess miteinbezogen zu werden. Diese Ergebnisse verdeutlichen die unterschiedlichen Wünsche älterer Personen in Bezug auf ihre Beteiligung am Entscheidungsprozess. In einer Studie gaben 29 von 40 Teilnehmenden an, dass niemand vor dem Austritt mit ihnen über die Medikamente gesprochen hatte. Aber nicht nur mangelndes Wissen kann zu einer Nichteinhaltung der Medikamentenverordnung führen. Auch die eigenen Vorstellungen zu den Arzneimitteln beeinflussten das Verhalten. Wenn beispielsweise Medikamente für unwirksam oder unnötig gehalten und Verabreichungsformen wie Injektionen vermieden wurden, nahmen ältere Patient*innen an, dass diese mehr Schaden als Nutzen bringen würden. Die Routine bei der Einnahme von Medikamenten ist für ältere Patient*innen äusserst wichtig, da Unterbrechungen dazu führen, dass etwas vergessen geht. Der Spitaleintritt führt zu einem Unterbruch, da dort das Gesundheitspersonal die Medikamente verwaltet. Auch in Bezug auf die Austrittspapiere sind die Ergebnisse der Studien nicht eindeutig. In einigen Studien gaben die Patient*innen an, die Austrittspapiere wegen vieler Fachausdrücke und Abkürzungen nicht verstanden zu haben oder sie erhielten gar keine. Auch erkannten sie wegen mangelnder Informationen Rezepte nicht als solche. Andere Patient*innen gaben an, die Austrittspapiere gut verstanden zu haben. In einer Studie wurde die Informationsgabe beobachtet. Man stellte fest, dass diese oftmals unterbrochen wurde und dass sie an öffentlichen Orten mit Hintergrundgeräuschen stattfand.
Angehörige wurden als wichtige Ressource für die Patient*innen registriert, da sie Kommunikationslücken im Gespräch mit Gesundheitsfachpersonen schlossen und ebenfalls die Verantwortung für die Einnahme der Medikamente übernahmen. Einige Studien ergaben, dass Gesundheitsfachpersonen zu autoritärem Verhalten neigen, wenn es um Änderungen der Medikamente geht. Auch stellte man fest, dass die Kommunikation über Medikamente weder für Ärzt*innen noch für Pflegefachpersonen eine Priorität darstellte. Gespräche mit Pflegefachpersonen, zu welchen eine gute Beziehung bestand, wurden zwar geschätzt, kamen jedoch wegen häufigem Personalwechsel und Zeitdruck selten zustande. Am wenigsten fand ein Austausch über die Medikamente an den Visiten statt. Wenn keine Fachausdrücke, Generika oder Medikamentennamen genannt und die Bedenken der Patient*innen ernst genommen wurden, fühlten sie sich wohl im Gespräch. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass nicht geklärt ist, in wessen Aufgabenbereich die Kommunikation über Medikamente tatsächlich fällt.
Transfer in die Praxis
Die Kommunikation über die Medikamente sollte grundsätzlich priorisiert und auf die Patient*innen angepasst werden sowie ohne Fachjargon stattfinden. Eine vertrauensvolle Beziehung schafft für die Patient*innen eine Ebene, auf welcher sie Mut fassen, Fragen zu stellen und ihre Bedenken zu äussern. Informationen sollten deckend vermittelt werden, um Unsicherheiten und Unzufriedenheit zu vermeiden. Schlussendlich ist es wichtig, dass die Pflegefachpersonen Patient*innen-zentriert arbeiten und nicht vom Allgemeinen auf die einzelnen Patient*innensituationen schliessen sollten.
Die Informationsgabe zu den Medikamenten sollte nicht in einer geräuschstarken Umgebung stattfinden, sondern in Ruhe und ohne Zeitdruck. Auch sollten Patient*innen zu diesem Zeitpunkt nicht mit anderen Dingen beschäftigt sein. Durch das Anbringen eines Schilds an der Tür oder Informieren des Teams können Störungen vermieden werden. Das Gespräch sollte im Tagesgeschehen eingeplant werden, damit genügend Zeit vorhanden ist. Grundsätzlich wäre es diesbezüglich wichtig, die Informationsgabe zu den Medikamenten in den Kompetenzkatalog der Pflegefachpersonen aufzunehmen, ein Augenmerk darauf zu richten und ihnen die nötige Zeit dafür zu ermöglichen. Eine vertrauensvolle Beziehung zu den Patient*innen aufzubauen, ist wegen häufigem Personalwechsel oftmals erschwert. Um dies zu ermöglichen, ist es empfehlenswert, dass Pflegefachpersonen mehrere Tage hintereinander bei den gleichen Patient*innen zugeteilt sind. Werden Computer bei der Visite mitgeführt, muss der Fokus auf den Patient*innen liegen. Unterstützende Angehörige sollen als Ressource und Informationsquelle betrachtet und miteinbezogen werden. Medikamentenlisten sollten den Patient*innen nicht ohne Erklärung abgegeben werden und sollten keine Fachausdrücke oder Abkürzungen enthalten. Auch sollte man gerade bei geriatrischen Patient*innen auf die Schriftgrösse achten.
Um die Präferenzen der Patient*innen in Sachen Beteiligung miteinzubeziehen, ist es wichtig, aktiv nach diesen zu fragen und sie anschliessend gemäss diesen zu integrieren. Wenn geriatrische Patient*innen als Expert*innen in ihrer Medikation und als Gleichgestellte betrachtet werden, wird ihnen die Möglichkeit ihre Meinung, Bedenken und Fragen zu äussern, geboten. Des Weiteren sollte man es geriatrischen Patient*innen ermöglichen, ihr Medikamentenmanagement gemäss ihrer Routine im Spital gleichermassen selbstständig zu übernehmen. So kommt es zu keiner Unterbrechung oder einem Verlust dieser Ressource und ein fehlerhaftes Management nach dem Austritt kann vermieden werden.
Fazit
Anhand der gewonnenen Erkenntnisse lässt sich abschliessend sagen, dass es viele Faktoren gibt, welche die Informationsgabe zu den Medikamenten beeinflussen. Auch hat sich gezeigt, dass sich keine der Berufsgruppen explizit für diese Aufgabe zuständig fühlt und diese somit von einem zum nächsten geschoben wird. Daher sollte eine klare Zuteilung dieser Kompetenz zu einer Berufsgruppe stattfinden.