Gemeindeanimation für das Alter

Die schweizweit erste Gemeindeanimatorin für das Alter ist Corina Gloor. Im Sommer dieses Jahres schliesst sie ihre 4-jährige Ausbildung Gemeindeanimation HF an der Artiset Bildung in Luzern ab und wird ihr Wissen und ihre Praxiserfahrung in einem Gemeinwesen einsetzen. Im folgenden Gespräch mit Floris Tschurr, Leiter Gesundheitszentrum für das Alter Laubegg, gibt sie einen Einblick.

Floris Tschurr: Corina, wie bist du auf diese Ausbildung gestossen?

Corina Gloor: Nach vielen Jahren beim Film und einem Jahrzehnt im Nonam Zürich, (Nordamerika Native Museum) entschloss ich mich, damals 51-jährig und alleinerziehend, eine neue Ausbildung anzupacken. Der Beschrieb der 4-jährigen Ausbildung fasste alle spannenden Stationen meines bisherigen Berufslebens zusammen und eröffnete ein zukunftsträchtiges Tätigkeitsgebiet mit Menschen, in dem ich mitgestalten wollte: in der Gemeinwesenarbeit die soziale Kohäsion fördern. Mir war wichtig, nicht ein trockenes Theoriestudium zu machen, sondern durch die obligatorische Einbettung in einen Praxisbetrieb ein lebendiges Miteinander zwischen erlernten Methoden und Modellen und deren Umsetzung im Alltag kennen zu lernen. Enthusiastisch startete ich in einem Jugendhaus, um bald herauszufinden, dass man mich lediglich als günstige Einsatzkraft betrachtete und wenig Zeit blieb für eine Lernbegleitung. Als dann der einzige Ausbildungsabsolvent im Bereich Alter – alle übrigen Studierenden hatten sich für den Bereich Jugend angemeldet – aufhören wollte, meldete ich mich bei dir, Floris, im Gesundheitszentrum für das Alter Laubegg der Stadtzürcher Gesundheitszentren und übernahm den Praxisplatz für die verbleibenden 3 Jahre. Ich hatte meinen Bereich gefunden, der tägliche Austausch mit hochaltrigen Menschen erwies sich als unglaublich spannendes Lernfeld.

Corina Gloor: Weshalb hast du mich überhaupt genommen?

Floris Tschurr: Bei unserem ersten Gespräch erlebte ich, dass du ein ernsthaftes Interesse hast für das Alter und eine persönliche Vision dazu mitbringst. Dazu kam, dass der Lehrplan der Ausbildung Gemeindeanimation HF genau das bietet, was wir als Drehscheibe im Quartier noch verstärken möchten: die Vernetzung im Sozialraum. Wir möchten Aktivitätsort sein für die Seniorinnen und Senioren im Quartier, am liebsten mit geeigneten Arbeitsplätzen für alte Menschen. Es ist wichtig, aufsuchende Kontakte einzurichten, und unsere Freiwilligen könnten noch viel mehr zu Botschafterinnen und Botschaftern werden. Als ich dann die Leitung der Hochschule kennenlernte und auch dort fundierte Zielsetzungen und eine grosse Offenheit für das Experimentieren fand, war klar, dass Gemeindeanimation das Richtige ist.

Corina Gloor: Zuerst zögerte ich, weil ich erst im zweiten Ausbildungsgang dieses neuen Berufs bin und nicht Versuchskaninchen sein wollte. Die erste Durchführung begann 2016, mein Studium 2018. Aufnahmeprüfung, -gespräch und die Abklärung der beruflichen Eignung verliefen aber sehr seriös, ein Praxisplatz ist Bedingung. Die Ausbildungskosten werden grösstenteils vom Standortkanton übernommen. In nur drei Jahren kann die Ausbildung absolvieren, wer bereits über eine berufsspezifische EFZ-Grundausbildung wie z.B. FaBe verfügt.

Floris Tschurr: Gemeindeanimatorinnen und -animatoren engagieren sich für den sozialen Zusammenhalt, sie ermöglichen Beziehungen, fördern den Gemeinsinn und stärken die Zu-gehörigkeit. Kannst du das denn umsetzen im Gesundheitszentrum Laubegg?

Corina Gloor: Die Tätigkeit in einer Wohninstitution ist anders als bei der «Gassenarbeit» im Quartier. Es besteht allein schon durch das Wohnen unter demselben Dach eine Gemeinschaft. Die Partizipation aller Anspruchsgruppen ist aber auch hier ein Thema. Und natürlich habe ich ja mit mehreren Projekten die Verknüpfung des Gesundheitszentrums Laubegg mit dem Quartier umgesetzt. Ein Beispiel ist der Aufbau einer Freiwilligengruppe aus dem Quartier, die einen Mittagstisch für Seniorinnen und Senioren des Quartiers im Gesundheitszentrum betreibt. Der Mittagstisch selber ist bloss Aufhänger, um die Ressourcen der Teilnehmenden kennenzulernen und weiter zu nutzen und sie zu ermutigen, untereinander oder mit ihren Nachbarinnen und Nachbarn in Kontakt zu kommen.
Wir beteiligten uns aber auch am stadtweiten Projekt «Quartier macht Schule». Das Gesundheitszentrum Laubegg sollte Veranstaltungsort sein während zwei Wochen, damit Menschen aus dem Quartier wie auch Laubegg-Bewohnende ihre Kenntnisse und Leidenschaft mit anderen teilen konnten: Computerkenntnisse, eine Weindegustation, bolivianische Küche.
Beide Projekte liefen an, wurden durch die Pandemie jedoch unterbrochen.
Durch mein Mitwirken im Quartiernetz, einer informellen Vereinigung der Altersinstitutionen am Friesenberg, habe ich meinen Beruf vorstellen, die Mitbewerbenden kennenlernen und mich mancherorts einbringen können.

Floris Tschurr: Was hast du denn mit den Bewohnenden des Gesundheitszentrums Laubegg gemacht?

Corina Gloor: Zuerst wollte ich die Mitarbeitenden samt ihren Bereichen kennenlernen und arbeitete überall mit. Bei der Zimmerreinigung, im Service und im Atelier kam ich rasch mit den ersten Bewohnenden in Kontakt. Ich fertigte einen Plan des Quartiers an, zeichnete die ehemaligen Wohnorte der Bewohnenden ein und befasste mich mit der Geschichte des Quartiers. Wie hatte es ausgesehen vor 70, 80 Jahren? Was prägte damals das Gemeinwohl? Welche Persönlichkeiten dominierten das Geschehen? Ich lud die Seniorinnen und Senioren ein, sich darüber auszutauschen und erfuhr noch viel mehr, genauso wie sie gegenseitig auch. Zu Beginn der Pandemie organisierte ich Nachmittage über meine Reisen nach Asien, über die Inuit und die Native Americans und brachte dafür viele private Gegenstände und Fotomaterial mit, um den Teilnehmenden das Erzählte so anschaulich wie möglich zu vermitteln.

Erweitert wurden die Aktivitäten mit fremden und exotischen Lebensmitteln, wie beispielsweise getrocknetem Bisonfleisch oder indischem Chai, dadurch wurden auch die Geschmacks- und Geruchssinne angeregt und die Gesprächsrunden setzten sich oft ohne mein Zutun fort. Auch die wöchentlichen Malateliers erwiesen sich als wunderbares Mittel, den Gedanken freien Lauf zu lassen und hochaltrige Menschen miteinander in Berührung zu bringen. Mit meinem Schaukasten «Tag des…» gelang es mir, mitten im Eingangsbereich einen Hotspot zu schaffen, über den erregt diskutiert wird. Der Tag der Brailleschrift oder der Weltkuscheltag lösten erwartungsgemäss mehr Emotionen aus als der Tag der Currywurst.

Floris Tschurr: Für mich waren die jährlichen Praxistreffen der Praxisbetriebe anlässlich der Ausbildung Gemeindeanimation HF in Luzern und die ebenfalls jährlichen Besuche der Studienleitung bei uns im Gesundheitszentrum Laubegg wichtig. Sie erleichterten die Koordination zwischen dem von dir Gelernten und dem, was du bei uns umgesetzt hast. Als dann im 3. Ausbildungsjahr Praxisprojekte für jeweils 3–4 Studierende eingereicht werden konnten, war uns beiden klar, dass wir uns bewerben wollten. Somit gingen dann 4 Studierende ein und aus.

Hat sich für dich die Ausbildung gelohnt, Corina?

Corina Gloor: Unbedingt. Ich habe enorm viel gelernt von «meinen» hochaltrigen Menschen, ihrer Weisheit, ihren Nöten und Ängsten. Ein ganzes Quartier mit seinen Einwohnerinnen und Einwohnern ist mir vertraut geworden, dessen Geschichte und vorher unbekannte Orte. Von zahlreichen Mitarbeitenden lernte ich Methoden, die nicht Bestandteil der Ausbildung waren, und konnte ihnen mein neu erworbenes Wissen anbieten. Mindestens so intensiv war aber meine persönliche Entwicklung. Ich bin nach diesen vier Jahren nicht mehr dieselbe, die Welt ist für mich noch reicher geworden und ich freue mich auf meine erste Anstellung als Ge-meindeanimatorin.

Wie beurteilst du das aus Sicht der Institution?

Floris Tschurr: Ebenso positiv. Du hast unseren Fokus geschärft und erweitert. Deine Beiträge für den Betrieb und die Bewohnenden sind unschätzbar. Weil du eine sehr selbständige Person bist, kamen deine Angebote immer leichtfüssig daher und wurden von allen als Geschenke angenommen und nie als «Nötigung». Du schafftest das auch, weil du die Aufgaben und Strukturen des Betriebs respektiertest. Der Abgleich von Ausbildungsinhalten mit den betrieblichen Erfordernissen kostete mich einigen Aufwand, auch die Praxisqualifikationen und die wöchentlichen Bilas. Ich erlebte jedoch die Gemeindeanimation-Studienleitung als hochprofessionell und unterstützend und empfehle jeder Altersinstitution, die sich als Teil eines sozialräumlichen Kontexts sieht, Gemeindeanimatorinnen und -animatoren auszubilden.

Literatur und Links
CURAVIVA hfg – Home (hfgemeindeanimation.ch)

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