Geistige Fitness – wie viel bringt Gehirnjogging?

Gut funktionierende geistige Fähigkeiten sind ein wichtiger Faktor für das Meistern verschiedenster Alltagsanforderungen und -aktivitäten, aber auch für das Wohlbefinden älterer Menschen. Die Angst vor geistigem Abbau in der Gesellschaft hat in den letzten Jahren verstärkt zur Entwicklung sogenannter „Gehirnjoggings“ geführt: Strukturierte kognitive Trainingsprogramme sollen das Gehirn verjüngen, geistige Fähigkeiten wie die Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit verbessern oder sogar vor Demenz schützen. So zumindest lautet das Versprechen vieler kommerzieller Anbieter. Doch was steckt wirklich in solchen Programmen?

Die geistige Gesundheit ist ein wichtiges Thema, speziell für ältere Personen. Viele Menschen fürchten sich vor dem Abbau der geistigen (kognitiven) Fähigkeiten, den möglichen Konsequenzen, aber auch vor neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer Demenz, welche zu starken kognitiven Einschränkungen führt. Tatsächlich nehmen auch ohne Vorliegen einer Demenzerkrankung viele kognitive Fähigkeiten über die Lebensspanne ab, aber nicht alle: so bleiben beispielsweise das autobiographische Gedächtnis oder die Fähigkeit zur Verarbeitung von emotionalen Eindrücken relativ stabil. Andere kognitive Fähigkeiten hingegen, wie etwa das Arbeitsgedächtnis oder die mentale Verarbeitungsgeschwindigkeit, nehmen ab einem Alter von circa 20 Jahren relativ kontinuierlich über die Lebensspanne ab. Andere Masse für kognitive Leistung, wie beispielsweise das Vokabular oder Faktenwissen, bleiben bis ins hohe Alter relativ stabil und nehmen erst ab einem Alter von circa 60 bis 70 Jahren ab (Hedden & Gabrieli, 2004).

Verbesserung kognitiver Fähigkeiten: Hilft kognitives Training?

Mittlerweile existieren zahlreiche kommerzielle kognitive Trainingsprogramme, die grosse Versprechungen abgeben: Innerhalb weniger Stunden oder Tage soll das gezielte Üben bestimmter Aufgaben zu weitreichenden Verbesserungen der kognitiven Leistungsfähigkeit führen. Viele dieser Angebote wurden aber nicht wissenschaftlich entwickelt oder überprüft und der tatsächliche Gewinn für die einzelnen Anwender ist fraglich. Parallel zur Gehirnjogging-Industrie überprüfen weltweit zahlreiche Forschungsgruppen die Wirksamkeit von kommerziellen und nicht-kommerziellen, wissenschaftlich konzipierten Trainingsprogrammen. Wer sich nun eine einfache Antwort auf die Frage nach der Wirksamkeit erhofft, wird enttäuscht: Die Befundlage ist unklar. Einerseits weisen viele Studien starke qualitative Mängel auf. Andererseits lassen sich die bereits existierenden Studien schlecht miteinander vergleichen, weil sie unterschiedliche Trainingsprogramme und Evaluationskriterien anwenden. Eine qualifizierte Aussage basierend auf den existierenden Studien ist daher im Moment kaum möglich (siehe auch Guye, Röcke, Mérillat, von Bastian & Martin, 2016; von Bastian, Guye, & De Simoni, in press). Im Jahr 2014 haben wir deshalb am Universitären Forschungsschwerpunkt (UFSP) „Dynamik Gesunden Alterns“ (in Zusammenarbeit mit der University of Sheffield in England) die grosse Trainingsstudie „Healthy Cognitive Aging and Plasticity“ (h-CAP) gestartet, in der wir unter anderem versucht haben, diese bisherigen Qualitätsmängel zu verbessern.

Ergebnisse der h-CAP Studie: Keine generelle Leistungssteigerung

In der h-CAP Studie haben wir knapp 150 ältere Personen zwei unterschiedlichen Trainingsprogrammen zugewiesen: einer Experimental- und einer Kontrollintervention. Beide Gruppen trainierten fünf Wochen lang zu Hause am Computer verschiedene kognitive Aufgaben. In der Experimentalgruppe sollte es zu einer generalisierten Leistungssteigerung in einer Vielzahl kognitiver Fähigkeiten nach dem Training kommen. Wir fanden heraus, dass sich zwar beide Trainingsgruppen massiv in der trainierten Fähigkeit verbesserten, dies aber keinerlei Auswirkungen auf nicht-trainierte Fähigkeiten hatte (Guye & von Bastian, 2017). In anderen Worten: Die teilnehmenden Seniorinnen und Senioren wurden zwar sehr viel besser in den drei Gedächtnisaufgaben, die sie während des Trainings geübt haben, dies führte aber im Mittel über alle Teilnehmenden nicht zu einer Verbesserung der generellen Leistungsfähigkeit (beispielsweise einer Steigerung der Intelligenz).

Existieren individuelle Unterschiede in der Wirksamkeit?

In einem nächsten Schritt fragten wir uns, ob es möglicherweise individuelle Unterschiede in der Wirksamkeit dieser Interventionen gibt und ob Menschen mit gewissen Eigenschaften mehr profitieren als andere. So könnte man beispielweise annehmen, dass besonders motivierte oder besonders gewissenhafte Menschen vielleicht mehr vom Training profitieren als Menschen, die weder gewissenhaft noch motiviert sind. Um dieser Frage nachzugehen, haben wir uns die Trainingsverläufe der Seniorinnen und Senioren sowie die Trainingsverläufe einer jüngeren Trainingsgruppe genauer angeschaut. Wir konnten zeigen, dass die meisten der von uns untersuchten Faktoren wie Motivation, Persönlichkeit oder Überzeugungen keinen Einfluss auf die Trainingsleistung hatten (Guye, von Bastian,& De Simoni, 2017). Wir fanden zusätzlich heraus, dass jüngere Personen steilere Trainingskurven aufweisen als älteren Personen. Dies bedeutet, dass sie stärker vom Training profitieren.

Gehirnjogging: Quo vadis?

Nachdem wir zeigen konnten, dass relativ stabile Faktoren wie die Persönlichkeit keinen Einfluss auf die Wirksamkeit kognitiver Trainings hat, stellt sich nun die Frage, ob kognitive Leistung und Trainingsfortschritte möglicherweise mit stärker schwankenden Faktoren (z. B. der Stimmung oder Schlafqualität) zusammenhängen. Wenn Forschende solche Faktoren und damit einhergehend optimale Trainingskontexte identifizieren können, lassen sich dadurch möglicherweise die Trainingsgewinne und damit auch die Generalisierbarkeit der Leistungssteigerung auf andere kognitive Fähigkeiten maximieren.

Publikationen

von Bastian, C. C., Guye, S., & De Simoni, C. (in press). How strong is the evidence for the effectiveness of working memory training? In M. F. Bunting, J. M. Novick, M. R. Dougherty & R. W. Engle (Eds.), Cognitive and Working Memory Training: Perspectives from Psychology, Neuroscience, and Human Development. New York, NY: Oxford University Press.

Guye, S., & von Bastian, C. C. (2017).  Working memory training in older adults: Bayesian evidence supporting the absence of transfer. Psychology and Aging, 32(8),732–746,doi:10.1037/pag0000206

Guye, S., De Simoni C., & von Bastian, C. C. (2017).  Do individual differences predict change in cognitive training performance? A latent growth curve modelling approach. Journal of Cognitive Enhancement, 1(4), 374–393,doi:10.1007/s41465-017-0049-9

Guye, S., Röcke, C., Mérillat, S., von Bastian, C. C., & Martin, M. (2016). Plasticity in different age groups: Adult lifespan. In T. Strobach & J. Karbach (Eds.), Cognitive Training: An Overview of Features and Applications (pp. 45 – 55). Berlin: Springer.

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