FVNF – der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit – natürlich – sanft – friedlich?

Im Umgang mit dem freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) braucht es in den Pflegeeinrichtungen aber auch in der Gesellschaft einen sozialethischen Diskurs. Es braucht Informationen, Fachwissen und die Entwicklung einer Kultur, in der Mitarbeitende Unterstützung finden.

«Sterbefasten» ist unter begleitenden Fachpersonen breit akzeptiert. In einer Online-Befragung mittels standardisierten Fragen in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule St. Gallen wurden in Liechtenstein 97 diplomierte Pflegefachpersonen eingeladen, ihre persönlichen Einstellungen gegenüber «Sterbefasten» zu äussern. 95 % der Teilnehmenden akzeptieren und respektieren die Entscheidung der Bewohner, den Weg mit FVNF zu gehen. Alle Teilnehmenden geben zum Ausdruck, dass der Bewohnerin/dem Bewohner das Recht auf ärztliche und pflegerische Betreuung zusteht.

«Grundsätzlich wird man einem schwer leidenden, auf das Sterben zugehenden alten Menschen kaum das Recht absprechen können, den Leidens- und Sterbeweg durch FVNF zu verkürzen und sich dadurch Leiden zu ersparen. Es gibt keine moralische Verpflichtung, das Leben durch Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit so lange wie möglich zu erhalten und das Sterben hinauszuzögern.» (Heinz Rüegger, Sozialethiker)

Fasten?

Und doch, das Nachdenken über den freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit nimmt alle in der Pflege beteiligten Dienste in eine besondere Verantwortung. Schon bei der Leseart, beim Begriff «Sterbefasten» braucht es einen ersten Stopp, wenn der Einwurf ernst genommen wird, dass der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit im strengen Sinn nichts mit Fasten zu tun hat: «Fasten hatte und hat niemals mit dem Tod zu tun. Fasten (egal ob wir es religiös oder anders begründen) dient dem Leben.» (Frank Kittelberger, Theologe)

Daran schliesst sich die Frage an, ob der FVNF als ein Suizid oder ein natürliches Sterben betrachtet wird. In ihrem Artikel «Zwischen Suizid und natürlichem Tod: Um in einer Langzeitpflegeinstitution professionell mit dem freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit umgehen zu können, sollte sowohl auf institutioneller als auch auf persönlicher Ebene eine Haltung entwickelt werden» (Praxis Palliative Care 42/2018) zeigen Nadine Saladin und André Fringer auf, an welchen Schaltstellen eine grundsätzliche Haltungsarbeit zu leisten ist. Zuvorderst zeigt die Auswertung ihrer Einzelfallstudie, dass auf institutioneller Ebene der FVNF nicht erlaubt wird, wenn der Verzicht als Suizid eingeordnet wird. Entsprechend verhält es sich auch mit der Haltung auf der persönlichen Ebene. Wird der FVNF als Suizid gesehen, wird er von der Person abgelehnt, wird er hingegen als natürliches Sterben eingeordnet, wird sie ihn akzeptieren.

Professionelle Haltung entwickeln

In der Praxis wird es immer ein Dazwischen geben, ein «Kontinuum zwischen beiden Polen», das auch als passiver Suizid, als bewusstes Unterlassen eines für das Leben konstitutiven Grundvollzugs eingeordnet werden kann. Die Institutionen und mit ihnen die Mitarbeitenden sind eingeladen, sich mit dem Thema FVNF vertraut zu machen und ihren Standpunkt diesbezüglich zu klären. Dazu gehört das Einholen von Fachwissen und auch von Informationen bezüglich der rechtlichen Lage. Institutionen als auch die einzelnen Mitarbeitenden sollten eine professionelle Haltung zu Möglichkeiten des vorzeitigen Sterbens entwickeln.

Das Thema FVNF gehört in die Kulturarbeit jeder Pflegeeinrichtung. Die Fragen gehören auf die Agenda eines Angehörigenanlasses oder einer thematischen Besprechung im Rahmen eines Freiwilligentreffens. FVNF ist ein grosses Thema. Romantisierungen, Bagatellisierungen und verharmlosende Umschreibungen «natürlich, sanft und friedlich» helfen nicht weiter. Am Ende braucht es eben dann doch meistens eine intensive Begleitung durch die pflegerischen und ärztlichen Dienste.

Verantwortung aller

Sozialethisch bleibt die grosse Verantwortung, im Rahmen des neuen Paradigmas eines selbstbestimmten Sterbens mit Argusaugen wachsam zu sein und Sorge zu tragen, dass die Beschleunigung des Sterbens durch freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) nicht unter der Hand zu einem subtilen Druckmittel verkommt, das alten Menschen ein sozialverträgliches Ableben suggeriert. Der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit sollte ein letzter Ausweg sein für jemanden, der an einem sich hinziehenden Sterbeprozess stark leidet und diesen deshalb verkürzen möchte.

Seelsorgerinnen und Seelsorger werden in ihrer Treue zum Leben mit den Betroffenen nach Alternativen suchen, werden das offene Gespräch anbieten und werden ohne moralischen Zeigefinger die ihnen mögliche Begleitung und Unterstützung anbieten. Seelsorge in der Palliative Care orientiert sich gemeinsam mit den anderen Diensten «bis zuletzt» an den Bedürfnissen der Betroffenen.

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