«Dritte Orte» – Orte der Begegnung (Teil 1)

Das niederländische Den Haag gehört dem WHO-Netzwerk «Altersfreundliche Städte» an. Entsprechend wird dem Thema Alter in der Stadt viel Beachtung geschenkt. «Dritte Orte» oder auch Orte der Begegnung spielen dabei eine zentrale Rolle und sind von grosser Bedeutung für die dortige Altersstrategie. An dritten Orten treffen sich ältere Menschen, tauschen sich aus oder gehen gemeinsamen Aktivitäten und Interessen nach. So verbringen sie einen Teil ihrer Zeit sinnstiftend in Gesellschaft mit anderen.

Die Altersstrategie der Stadt Zürich verfolgt den Ansatz, wonach die städtischen Altersinstitutionen zukünftig auch «als Treffpunkt für die Bevölkerung» dienen sollen (Altersstrategie 2035, S. 47). So lautet denn eine der zentralen Massnahmen «Zusammenarbeit der städtischen Altersinstitutionen als quartiernahe Begegnungsorte», für deren Umsetzung ich bei den Gesundheitszentren für das Alter zuständig bin.

Der Zufall wollte es, dass die «Expedition Age & City 2023» der deutschen Körber-Stiftung unter dem Motto «Dritte Orte – Orte der Begegnung» stand, was mich veranlasste, mich für die Teilnahme an der Reise nach Den Haag zu bewerben. Gerne berichte ich an dieser Stelle in zwei Blogbeiträgen darüber.

Was ist ein «Dritter Ort»?

Die Idee des dritten Ortes geht auf den 2022 verstorbenen amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg zurück. Für ihn war klar, dass es drei Arten von sozialer Umgebung gibt:
– Das Zuhause als ersten Ort
– Die Arbeitswelt als zweiten Ort
– Orte der Öffentlichkeit, die weder Teil des Zuhauses noch der Arbeitswelt und damit dritte Orte sind.

Dritte Orte bilden einen Ausgleich zu den anderen beiden Orten. Sie sind (halb-)öffentliche, frei zugängliche Orte, an denen sich Menschen aufhalten. Sie ermöglichen spontane Begegnungen und Gespräche, der Rahmen ist entspannt und ungezwungen, der Aufenthalt dort ist ohne Verpflichtung, die Menschen können frei kommen und gehen. Dritte Orte leben genauso von Stammgästen wie auch von zufällig vorbeigehenden oder unregelmässig aufkreuzenden Nutzerinnen und Besucherinnen. Die Nutzung des Ortes durch den Menschen, die Begegnungen und der soziale Austausch, der dort unter den Menschen stattfindet, macht einen Ort erst zu einem «dritten Ort».
Mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bekommen das eigene Zuhause und die dritten Orte eine grössere Bedeutung. Sie kompensieren den mit der Pensionierung unwiderruflich verloren gegangenen zweiten Ort, der während des Berufslebens für manche einen sehr wichtigen Teil eingenommen hat.

Dritte Orte in Den Haag

Auf der Exkursion haben wir unterschiedlichste Arten von dritten Orten für Ältere erlebt. Von quartiernahen Begegnungsorten (https://haagsontmoeten.nl/) über eine Art Quartiertavolata mit sozialem Engagement (https://participatiekeuken.nl/) bis hin zum grossen Kulturbetrieb im Zentrum der Stadt, der nebst Konzert- und Theaterhaus auch als Ausbildungsstätte für Musiker*innen sowie als Begegnungsort und -raum für die Den Haager Bevölkerung dient (https://www.amare.nl/en).

«Ontmoeten» – die quartiernahen Begegnungsorte

Diese Begegnungsorte sind auf alle Quartiere verteilt, alles in allem gibt es über 50 davon in Den Haag. Zumeist sind sie einer Sozialstation angegliedert, wo es z. B. bereits ein Angebot von Alterswohnen gibt, Spitexdienste ihre Räumlichkeiten haben oder auch Dienstleistungen und Beratung für Ältere angeboten werden. In den «Ontmoeten» können ältere Menschen wie auch ihre Betreuungspersonen einfach vorbeikommen, Kaffee trinken, sich mit den anderen austauschen oder gezielt für gemeinsame Aktivitäten zusammenkommen.

Der Begegnungsort «Schakelpunt», den wir auf der Exkursion besucht haben, bietet nebst Information und Beratung ganz unterschiedliche Aktivitäten:
– Kaffeevormittag jeweils montags bis freitags, wo je nach Lust und Laune geplaudert, miteinander gespielt oder gebastelt werden kann (Getränk € 0.60)
– Stuhlyoga einmal die Woche gegen ein kleines Entgelt (€ 6.00 bzw. 3.00)
– Leseklub, der sich etwa alle sechs Wochen zur Buchbesprechung trifft
– Gesprächsrunde einmal im Monat
– Filmnachmittag inkl. Apéro am Sonntag einmal im Monat
– Hausgemachte warme Mahlzeit einmal im Monat
– «Draadcafé» (Nähen, Sticken) einmal im Monat
– Vortrag durch eine engagierte Person aus dem Quartier mit anschliessender Happy Hour einmal im Monat (Vortrag gratis, Drink € 1.00)
– Das Format «Verborgene Schätze», wo die Teilnehmenden sich während sechs Monaten wöchentlich treffen, um Geschichten miteinander auszutauschen und Erinnerungen zu sammeln und festzuhalten
– Sporadische, gemeinsame Museums-, Kino-, Konzert- und Theaterbesuche
– Ausflüge in die Umgebung zum Strand, in den Park, ins Stadtzentrum

Bei der Frage, wie der Schakelpunt zu diesem vielseitigen Angebot komme, haben wir erfahren, dass die Fachleute der Sozialstation zwei Grundsätze beachten. Der eine lautet «start with people, not location» und der andere «bringing two people together is a success». Die Begegnung zwischen Menschen, also das gegenseitige in Kontakt kommen, bildet den Ausgangspunkt. Für erste Begegnungen benötigt es (noch) keine spezielle Infrastruktur oder grossartig ausgestatteten Räumlichkeiten. Der Anfang jeder Begegnung ist der Mensch und das Interesse am Gegenüber. Dieser Austausch fördert zutage, was das Gegenüber gerne tun würde, wofür es brennt oder wovon es träumt. So sind in erster Linie der Kontakt zu den Menschen und eine Grundhaltung des Ermöglichens und Vernetzens zentral. Wichtig ist dann im zweiten Schritt, den Menschen Raum zu geben, das in die Tat umzusetzen, was sie gerne tun würden und was sie beitragen möchten. Daraus entstehen interessengeleitet solche Angebote wie ein Leseklub, Tanzlektionen, eine Vortragsreihe oder tägliche Kaffeetreffen und vieles mehr. Sie kommen durch das Engagement der älteren Menschen aus dem Quartier zustande und werden von ihnen selbst betreut. Und sie alle sagen: «Ich will etwas Sinnvolles tun, etwas beitragen und nützlich sein.» Die Fachpersonen der Sozialstation erkennen das mögliche Potenzial der betreffenden Personen, bekräftigen die älteren Menschen in ihrer Initiative und versuchen, Raum für Verwirklichung zu schaffen und Dinge möglich zu machen.

«Participatie Keuken» – Quartiertavolata mit sozialem Engagement

Dieses Angebot steht unter dem Motto «Begegnungen, die nach mehr schmecken». Essen verbindet, so lautet eine Redewendung. Ben Lachab, ausgebildeter Koch und Gründer dieses Angebots, das von diversen Stiftungen sowie der Stadt Den Haag finanziell unterstützt wird, nutzt diese Erkenntnis für sein Engagement im ärmsten Stadtteil von Den Haag. Im Quartier, wo sich die «Participatie Keuken» (zu dt. etwa «Mitmach-Küche») befindet, gibt es viel Armut, zahlreiche einsame Menschen und ebenso zahlreiche Menschen mit einem Migrationshintergrund wie Ben Lachab selbst. Die Initiative wurde während des ersten coronabedingten Lockdowns ins Leben gerufen. Innerhalb von 16 Wochen stellte Ben mit seinem Team und weiteren Partnern 100 000 Mahlzeitenpakete für fragile ältere Menschen ohne soziale Absicherung bereit. In kurzer Zeit hat er es geschafft, rund um Essen und Lebensmittel Menschen aus dem Quartier zusammenzubringen und einzubinden. Das Angebot wird zu einem grossen Teil, aber nicht ausschliesslich, von älteren Menschen genutzt.
Nebst regelmässigen wöchentlichen Abendessen vor Ort gibt es auch einen «Spendenkiosk», wo bedürftige Menschen aus dem Quartier Lebensmittel gratis abholen können. Ausserhalb des Ursprungsstandorts gibt es fliegende Initiativen, wo vor Ort in einem Gemeinschaftszent-rum gekocht und eine Tafel eingerichtet wird oder im Sommer auch einmal in einem öffentlichen Park Den Haags grösstes Barbecue auf die Beine gestellt wird.
Die Lebensmittel stammen von Grossverteilern. Aufgrund des abgelaufenen Mindesthaltbarkeitsdatums können diese nicht mehr verkauft werden. Sie sind aber immer noch geeignet für den Konsum. So leistet die Participatie Keuken nebenbei auch noch einen sinnvollen Bei-trag zur Vermeidung von «food waste».

Projektinitiator Ben Lachab Foto: Sebastiaan van Denzel / Körber-Stiftung

Freiwillige aus dem Quartier helfen in der Küche mit, engagierte Firmen schicken Teams, die beim wöchentlichen Abendessen das Aufdecken, Servieren, Abräumen und den Abwasch übernehmen und sich so ehrenamtlich engagieren. Die Gäste entrichten einen freiwilligen Beitrag an das Essen. Andere, von denen Ben und seine Crew wissen, dass sie knapp bei Kasse sind, bekommen am Schluss des Abends schon mal ein Brot oder andere Lebensmittel auf den Weg nach Hause. Der Grundsatz des gemeinschaftlichen Essens vor Ort lautet «meet, relate, create». An den verschiedenen Tafeln treffen sich Menschen aus dem Quartier (meet), kommen über und rund ums Essen ins Gespräch miteinander (relate). Daraus erwachsen über die Zeit Beziehungen, was wiederum Voraussetzung ist für gemeinsame Aktivitäten (create). Der Initiator betont mehrmals, «Food is key», geschmackvolles Essen sei wie eine universelle Sprache und wirke als Katalysator, bringe bei den Menschen und in der Gemeinschaft etwas in Gang.
Das Projekt konzentriert sich dabei nicht nur auf gemeinsame Tafeln oder Essensabgabe an Menschen mit wenig finanziellen Mitteln, sondern bezieht das räumliche Umfeld mit ein. So wurden in besagtem Quartier in Absprache mit den Immobilienverwaltungen der Sozialwohnungen die zuvor vernachlässigten Grünstreifen zwischen den Häusern umgestaltet, Obstbäume gepflanzt, Blumen und Gemüsegärten angelegt, die von Quartierbewohner*innen gehegt und gepflegt werden. Hier wächst, womit in der Participatie Keuken unter anderem gekocht wird. Ben Lachab konnte beobachten, dass die Aneignung des Aussenraums durch die Quartierbewohnenden dazu führt, dass das Quartier sauber und aufgeräumt wirkt. Abfall wird nicht mehr einfach liegen gelassen, die Menschen nutzen den Aussenraum nach ihren Bedürfnissen und tragen Sorge dazu, weil sie ihn als den ihrigen betrachten.

Als Garten genutzter Grünstreifen zwischen den Wohnhäusern Foto: Sebastiaan van Denzel / Körber-Stiftung

Im zweiten Teil berichte ich über «Amare» – Kulturzentrum und Ort der Begegnung im Herzen Den Haags.

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Dialog

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