DemFACTS-Studie: Ein Update

Da bei fortgeschrittener Demenz die Urteilsfähigkeit massgeblich eingeschränkt oder nicht mehr vorhanden ist, werden Behandlungsentscheidungen vor allem von den gesetzlichen Vertreter/innen (meist Angehörigen, Berufsbeiständ/inn/en oder Ärzt/inn/en) getroffen. Die bereits in diesem Blog vorgestellte DemFACTS-Studie (siehe Artikel vom 29.06.2015) strebte die Entwicklung und Testung von zwei Entscheidungshilfen an, mit dem Wunsch, gesetzliche, Vertreter/inne/n bei komplexen Entscheidungen beizustehen. Nachdem Ihnen die DemFACTS-Studie kurz in Erinnerung gebracht wird, werden Ihnen die neu entwickelten Entscheidungshilfen, sogenannte Faktenboxen, präsentiert.

Die DemFACTS-Studie wurde aufgrund von folgenden Erkenntnissen aus der Forschung und Praxis entwickelt:

  • Belastende medizinische Massnahmen werden bei Menschen mit Demenz häufiger angewendet als bei Personen ohne kognitive Einschränkungen. Solche Massnahmen haben am Lebensende aber meist keine Effekte auf die Lebensdauer oder Lebensqualität der betroffenen Personen.
  • Studien zeigen, dass medizinische Entscheidungen am Lebensende belastend sein können.
  • Medizinische Entscheidungen am Lebensende werden oft ohne die Beteiligung aller Entscheidungsträger/innen (wenn möglich Patient/in selbst, Angehörige und/oder Berufsbeistände/innen) getroffen.
  • Informationen zu Nutzen und Risiken einer Massnahme werden selten vermittelt.
  • Es gibt keine Studien darüber, wie Berufsbeistände/Berufsbeiständinnen über dieses Thema denken.

Diese Erkenntnisse bildeten die Grundlage für die (1) Entwicklung und (2) Untersuchung von zwei evidenzbasierten Entscheidungshilfen, sogenannten Faktenboxen. Da Lungenentzündungen und Flüssigkeitsmangel zu den häufigsten Todesursachen im Bereich Demenz gehören (Koopmans, van der Sterren & van der Stehen, 2007; Ooms, van der Wal & Ribbe, 2002), wurden die folgenden zwei Massnahmen für die Entwicklung der Faktenboxen ausgewählt: (A) Antibiotika gegen Lungenentzündungen und (B) Flüssigkeitszufuhr gegen Flüssigkeitsmangel.

Die Entwicklung

Faktenboxen wurden ursprünglich in den USA entwickelt (Schwartz, Woloshin & Welch, 2009) und dann in Deutschland am Harding Zentrum für Risikokompetenz des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung eingeführt (McDowell, Rebitschek, Gigerenzer & Wegwarth, 2016). Faktenboxen enthalten evidenzbasierte Daten zur Art, Häufigkeit und zum Nutzen einer bestimmten Massnahme. Warum sind Faktenboxen innovativ? Sie ein kraftvolles Instrument für die wissenschaftliche Wissensvermittlung indem sie komplizierte Informationen einfach, gut verständlich und zusammenfassend darstellen!

Bisher existieren einige Faktenboxen über den Nutzen und die Risiken verschiedener Massnahmen (z. B. Faktenbox über Grippeschutzimpfung für Senioren) aber keine davon legt den Fokus auf Demenz. Aus diesem Grund wurden im Rahmen der DemFACTS-Studie zwei Faktenboxen hinsichtlich medizinischer Massnahmen, die am Lebensende von Menschen mit Demenz durchgeführt werden, entwickelt. Dafür wurden zuerst die besten und aktuellsten Evidenzen aus der Literatur gemäß einem hochqualitativen wissenschaftlichen Vorgehen ausgewählt. Die Ergebnisse wurden schliesslich in einem Team aus Forschenden und Praktikern zusammen mit dem Forschungsteam des Harding-Zentrums für Risikokompetenz diskutiert. Das Design übernahmen die Multimedia & E-Learning-Services der Universität Zürich.

Bitte sehen Sie sich unsere Faktenboxen an, indem Sie folgende PDF-Dateien herunterladen:

  1. Antibiotika gegen Lungenentzündungen bei fortgeschrittener Demenz
  2. Künstliche Flüssigkeitszufuhr bei fortgeschrittener Demenz

Leider zeigte sich bei der Entwicklung der Faktenboxen, dass aktuell noch nicht ausreichende Daten vorhanden sind, um in den Faktenboxen definitive Aussagen zum Nutzen bzw. zu den Risiken von Antibiotika und Flüssigkeitszufuhr machen zu können.

Die Untersuchung

Darüber hinaus wurde die Wirksamkeit unserer Faktenboxen untersucht. Dafür wurden im vergangenen Sommer 103 Angehörige von Menschen mit Demenz, 77 Berufsbeistände/Berufsbeiständinnen und 74 Ärzte/Ärztinnen befragt. Diese Befragung sollte verschiedene Fragen beantworten, z.B. ob mit den Faktenboxen Wissen vermittelt werden konnte, ob sie bei der Entscheidungsfindung helfen konnten oder ob sie Entscheidungskonflikte reduzieren konnten. Momentan werden die Ergebnisse dieser Befragung analysiert.

Schliesslich sollten Faktenboxen nicht als einziger Bestandteil einer informierten Entscheidung gesehen werden. Die Lebensgeschichte und Präferenzen der Betroffenen sowie die persönliche Reflexion der Angehörigen und Fachpersonen als auch der Dialog zwischen allen sollten Vorrang haben. Eine bestmögliche Lösung, die positive und negative Folgen auf die Lebensqualität und -zeit berücksichtigt, sollte gemeinsam angestrebt werden. Faktenboxen könnten jedoch die Kommunikation zwischen allen an der Versorgung von Menschen mit Demenz am Lebensende beteiligten Personen fördern. Im besten Fall lösen die Faktenboxen Diskussionen bezüglich Ausrichtung der medizinischen Versorgung (kurativ oder palliativ) aus. Dies wiederum kann dazu beitragen, dass die Entscheidungen zum Wohl der Person am Lebensende getroffen werden.

Literatur:

Koopmans, R. T. C. M., van der Sterren, K. J. M. A., & van der Steen, J. T. (2007). The “Natural” Endpoint of Dementia: Death from Cachexia or Dehydration following Palliative Care? International Journal of Geriatric Psychiatry, 22(4), 350–355. http://doi.org/10.1002/gps.1680

McDowell, M., Rebitschek, F. G., Gigerenzer, G., & Wegwarth, O. (2016). A Simple Tool for Communicating the Benefits and Harms of Health Interventions A Guide for Creating a Fact Box. MDM Policy & Practice, 1(1), 2381468316665365.

Schwartz, L. M., Woloshin, S., & Welch, H. G. (2009). Using a Drug Facts Box to Communicate Drug Benefits and Harms: Two Randomized Trials. Annals of International Medicine, 150(8), 516-527.

van der Steen, J. T., Ooms, M. E., van der Wal, G., & Ribbe, M. W. (2002). Pneumonia: The demented Patient’s Best Friend? Discomfort After Starting or Withholding Antibiotic Treatment. Journal of the American Geriatrics Society, 50(10), 1681–1688. http://doi.org/10.1046/j.1532-5415.2002.50460.x

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