Menschen mit Demenz in Langzeitinstitutionen: Ein angepasster Umgang durch das Pflege- und Betreuungspersonal ist wichtig – doch was versteht man darunter? Werfen wir einen Blick auf die Empfehlungen der nationalen Demenzstrategie für die Pflege, Behandlung, Betreuung und Begleitung von Menschen mit Demenz.
Martha Meier-Dällenbach lebt in einer Langzeitinstitution. Sie vergisst, dass sie verwitwet ist, ja, dass sie überhaupt verheiratet war. Der Name Meier rückt immer mehr in den Hintergrund und wird kleiner: Sie ist Martha meier Dällenbach (MmD), ein Mensch mit Demenz. Diese Bezeichnung ist die heute gültige Nomenklatur. Das Wort «Demente» wird als nicht respektvoll empfunden, da eine Krankheitsdiagnose ganz im Vordergrund steht. So wie man bei einer Person mit einer Krebserkrankung auch nicht von einem oder einer Kanzerösen spricht (Quelle: Dawn Brooker Verlag: Hogrefe AG).
Martha Dällenbach ist oft unruhig und kann nicht gut schlafen. Sie spaziert nachts auf der Abteilung herum und öffnet den Kühlschrank im Essbereich. Dort hat es einige Joghurts, Käse, Konfi und Schokolade. Sie mag Süsses besonders gern. Sie nimmt sich eine Tafel Schokolade und zwei Konfi-Portionen raus. In dem Moment kommt eine Pflegemitarbeiterin vorbei und schimpft: «Aber Frau Meier, jetzt habe ich Ihnen schon x-mal gesagt, dass Sie sich nicht einfach am Kühlschrank bedienen können. Das gehört nicht nur Ihnen. Geben Sie mir sofort die Schokolade zurück.» Frau Dällenbach will die feine Schokolade nicht zurückgeben, schliesslich ist das ihre und sie möchte sie alleine aufessen. Es kommt sogar zu einer handfesten Auseinandersetzung um die Schokolade und Frau Dällenbach stürzt fast.
Nun, was halten Sie von dieser Geschichte. Natürlich kommen solche Szenen auch in den Gesundheitszentren für das Alter in der Stadt Zürich vor. Aber hoffentlich immer seltener. Menschen mit Demenz brauchen ein angepasstes Milieu und das betrifft vor allem den zwischenmenschlichen Umgang mit ihnen und die Akzeptanz ihrer Bedürfnisse. Angepasster wäre durch die Pflegemitarbeiterin vielleicht: «Oh da ist noch jemand wach und hat Hunger. Da habe ich noch Brot mit feiner Konfi.» Und vielleicht versteht Frau Dällenbach das gar nicht mehr. Aber die Frau ist nett mit ihr und hält ihr noch ein Stück Brot hin, dass sie gerne nimmt. Ein einfaches, alltägliches Beispiel, das aufzeigt, was mit einem angepassten Umgang gemeint ist.
Der angepasste, person-zentrierte Umgang ist eines der Hauptanliegen der Broschüre für die Langzeitinstitutionen «Menschen mit Demenz in Langzeitinstitutionen: Empfehlungen für die Pflege, Behandlung, Betreuung und Begleitung».
Diese Empfehlungen wurden 2013 in den Pflegezentren der Stadt Zürich [seit 2021 Gesunheitszentren für das Alter] entwickelt und im Rahmen der nationalen Demenzstrategie unter der Leitung von «Alzheimer Schweiz» so weit angepasst, dass sie von allen Langzeitinstitutionen umgesetzt werden können. Die Nachfolgeorganisation der nationalen Demenzstrategie 2014–2019, die «Plattform Demenz» hat nun die Aufgabe übernommen, diese Empfehlungen im 2022 in den Langzeitinstitutionen noch bekannter machen. Die Schwerpunktthemen der Plattform sind:
- Lebensqualität
- Datengrundlagen
- Finanzierung
- vulnerable Personen
- stationäre Langzeitpflege
- ambulantes Betreuungssetting
Entsprechend Punkt 5 verfolgt die «Plattform Demenz» das Ziel, dass die Langzeitinstitutionen in der Schweiz mit den Empfehlungen arbeiten und Unterstützung erhalten von solchen, die schon etwas Erfahrung haben. Und vielleicht gibt es daraus später Qualitätskriterien für ein Label «Das demenzfreundliche Heim». Das würde die Auswahl für Angehörige erleichtern. Diese entscheiden oft anhand der Infrastruktur und der Hotellerie, dabei sind die menschlichen Faktoren für Menschen mit Demenz zentral. Diese und die Betreuungsqualität sind nicht so einfach zu beobachten und zu beurteilen.
In den ehemaligen Pflegezentren, die neu mit den ehemaligen Alterszentren Stadt Zürich zu den städtischen Gesundheitszentren für das Alter fusioniert sind, werden die Empfehlungen, sie heissen hier DemCare© Qualitätsparameter, seit neun Jahren umgesetzt. In den ehemaligen Alterszentren startet die Umsetzung in diesem Sommer. Im letzten Herbst wurde die Umsetzung in den 7 Häusern der ehemaligen Pflegezentren auditiert. Dies ist bereits das zweite interne Audit zur Überprüfung der Umsetzung von DemCare©. Neben einer Selbstevaluation und der Erhebung von Kennzahlen, wie schon 2017, wurde auch auf der Abteilung bei einzelnen Bewohnenden die Pflegeplanung bezüglich des demenzspezifischen individuellen Umganges überprüft und die Umsetzung im Alltag beobachtet. Dabei hat das Audit besonders auf die Beziehungspflege, die Alltagsgestaltung und die Zusammenarbeit im interprofessionellen Team sowie mit den Angehörigen geachtet. Die Resultate sind insgesamt sehr erfreulich. Die grosse Mehrheit der Mitarbeitenden ist demenzspezifisch geschult und es gibt zusätzliche pflegerische Fachpersonen, die die Pflegeteams in den Themen unterstützen. Insbesondere wurde eine wertschätzende und respektvolle Haltung gegenüber den Bewohnenden festgestellt. Auf die individuellen Bedürfnisse wird empathisch eingegangen. Es erfolgt eine demenzspezifische Kontaktaufnahme, Informationsweitergabe und Gesprächsgestaltung. Im interprofessionellen Team wird Hand in Hand zusammengearbeitet – ganz im Sinne der Person mit Demenz. Die demenzgerechte Beziehungsgestaltung und präventives Handeln ermöglicht Verhaltensauffälligkeiten (BPSD) vorzubeugen.
DemCare© wird im Alltag in den ehemaligen Pflegezentren der heutigen Gesundheitszentren für das Alter gelebt. Natürlich wurde auch Verbesserungspotential gefunden. In der demenzspezifischen Dokumentation besteht noch Entwicklungspotential, sowie in der Biografiearbeit, z.B. die Erfassung von sensobiografischen Schwerpunkten. Das wäre als Beispiel bei mir persönlich, dass ich den Duft von diversen Blüten liebe und oft im Frühling nach meiner Nase spazieren gehe. Die Anwendung von Psychopharmaka bei Verhaltensauffälligkeiten bei Menschen mit Demenz ist laut Qualitätsparameter zwar tiefer als im kantonalen Vergleich, um den Stellenwert des Einsatzes von nicht medikamentösen Angeboten und von Schmerzmedikamenten zu erhöhen, benötigt es weitere stützende Massnahmen.
Quelle
Person-zentriert pflegen. Das VIPS-Modell zur Pflege und Betreuung von Menschen mit einer Demenz. von Dawn Brooker Verlag: Hogrefe AG