Aufgeweckte Kunst-Geschichten

Hemmungen überwinden

Als ich das erste Mal mit Menschen mit Demenz in persönlichen Kontakt kam, hatte ich das Gefühl, dass ich mich irgendwie vorbereiten müsste. Wie muss ich mich benehmen, wie verhalten, wie sprechen? Meine Unsicherheit und Hemmungen speisten sich aus Unwissen und naiven Stereotypen. Ich war eingeladen zu einer Session der «Aufgeweckten Kunst-Geschichten» im Kunsthaus Zürich. Im Museum erfanden Menschen mit Demenz gemeinsam Geschichten zu Kunstgemälden.

Ablauf einer Session

Eine Session nach dem Format der «Aufgeweckten Kunst-Geschichten» ist eine Zusammenkunft von circa zwei Stunden Dauer. Sie beginnt mit einer Einführungs- und Begrüssungsrunde, in dem eine Moderatorin den Ablauf der Session erklärt. Zur Erinnerung liest sie die zuletzt erfundene Geschichte vor.

Das Ausdenken der neuen Kunst-Geschichte geschieht vor dem zuvor ausgewählten Gemälde. Vor diesem sitzen die Teilnehmenden auf Stühlen in der ersten Reihe; direkt dahinter die sogenannten «Echoer». Das sind frei Mitarbeitende, die sicherstellen, dass alles Gesagte von allen Beteiligten verstanden wird. In der Reihe dahinter sind die Begleitpersonen platziert, die während der Sessionen lediglich beobachten und zuhören, nicht jedoch am Geschichtenerfinden teilnehmen.

Die Moderatorin und ihre impulsgebenden Fragen helfen den Menschen mit Demenz, frei zu assoziieren, Gedanken und Gefühlen freien Lauf zu lassen sowie mit entsprechenden Worten und Begriffen zu umschreiben. Alles Gesagte ist richtig und wichtig und wird von einer Protokollantin notiert sowie fortlaufend zu einer Geschichte verdichtet. Der Abschluss jeder Session bildet ein gemeinsamer Apéro. So kann auf natürliche Art, in einem wohlwollenden Rahmen, gemeinsam ein Stück Normalität gelebt werden.

Im Museum haben mich besonders das Engagement und der Enthusiasmus beeindruckt, mit dem die Teilnehmenden an den Sessionen dabei waren. Ich fühlte mich privilegiert und «erweckt», diesen besonderen Moment miterlebt zu haben.

Gute Gründe dafür

Dieses Interventionsprojekt – initiiert durch das Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich und getragen durch seine Partner* – generiert für Menschen mit Demenz Zufriedenheit, Selbstvertrauen und Stolz auf Geleistetes. Wenn ich daran denke, dass ich vielleicht einmal selbst von Demenz betroffen wäre, würde es mich freuen, auf diese Art ins Museum zu gehen.

Die Auswirkungen

Das Museumsangebot «Aufgeweckte Kunst-Geschichten» wurde wissenschaftlich begleitet. Die nun vorliegenden Ergebnisse zeigen auf, dass die regelmässige Teilnahme an den kreativen Geschichtenerfind-Sessionen (a) zu einer Verbesserung der Stimmung, des aktuellen Wohlbefindens, der Konzentrationsfähigkeit sowie der verbalen Ressourcen der Teilnehmenden führt. Weitere Analysen zeigen eine (b) Steigerung des positiven Affekts und der Geduld bei den Betreuungspersonen sowie eine (c) Zunahme positiver Interaktionen zwischen Betreuungspersonen und den von Demenz betroffenen Teilnehmenden auf. Ferner hat sich (d) die Einstellung der frei Mitarbeitenden sowie der Begleitpersonen gegenüber an Demenz erkrankten Menschen verbessert.

Kooperationspartner des ZfG:

  • Alzheimervereinigung Kanton Zürich
  • Sanatorium Kilchberg
  • Kunsthaus Zürich
  • Gemeinde Horgen
  • Pflegezentrum Entlisberg, Stadt Zürich
  • Alterszentren der Stadt Zürich
  • pflegimuri, Muri
  • Aargauer Kunsthaus, Aarau
  • dandelion, Basel
  • Fondation Beyeler, Riehen
  • Kirchner Museum, Davos
  • Alterszentrum Guggerbach, Davos
  • Langzeitpflege Seeblick, Davos
  • Zürcher Hochschule der Künste, Zürich

Zum Projekt ist ein Buch inklusive Film-DVD entstanden.

Über das Projekt: http://www.zfg.uzh.ch/projekt/kunst-demenz-2015.html

Über das Buch mit Film: http://www.zfg.uzh.ch/publikat/zfg/buecher.html

Bild: © 2014 Jos Schmid

Alle
Bildung
Praxis

Kommentar Schreiben

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert