Auch Menschen mit HIV werden älter

Das Thema „Alter und Älterwerden“ hat in den vergangenen Jahren an zentraler Bedeutung gewonnen. Es ist noch nicht lange her, dass niemand erwartet hätte, dass so viele Menschen so alt werden könnten, wie es heute der Fall ist. Überraschend ist vor allem der aktuelle Anstieg der Lebenserwartung bei Menschen mit HIV und Aids; dies galt bis vor wenigen Jahren noch als Prognose für einen frühen Tod.

Seit den sechziger Jahren zeigt sich in allen europäischen Ländern eine frappante Zunahme der Lebenserwartung. Vor allem die Zunahme betagter und hoch betagter Menschen wird häufig unterschätzt. Global gesehen gehören Menschen über 80 Jahre zu den am schnellsten anwachsenden Bevölkerungsgruppen. Die UNO schätzt, dass sich die Zahl der über Hundertjährigen bis 2050 weltweit verzehnfachen wird. Laut Alliance Suisse leben heute in der Schweiz schon mindestens 1400 Hundertjährige. Der Hauptteil betagter Menschen sind übrigens Frauen.

Leben mit HIV und Aids

Ebenso überraschend wie die beschleunigte demographische Alterung der Allgemeinbevölkerung ist heute auch der zunehmende Anstieg der Lebenserwartung bei Menschen mit HIV und Aids, obwohl es kaum 30 Jahre her ist, dass die ersten positiven Testresultate und Aids-Erkrankungen in der Schweiz bekannt wurden. Rückblickend erinnere ich mich noch gut an die grosse Hilflosigkeit, Angst und Erschütterung, die Betroffene, Fachleute und Öffentlichkeit angesichts dieser unbekannten und damals noch unberechenbaren Diagnose und Krankheit ergriff. Es gab noch keine wirksamen Medikamente, die an der Virusvermehrung ansetzen, und so war im Jahre 1985/86 schon die Hälfte aller Betroffenen in der Schweiz an Aids verstorben. Die Aidshilfen konzentrierten sich in dieser Zeit stark auf die psychosoziale Beratung und Begleitung der Erkrankten und kämpften massiv mit der Tabuisierung und Diskriminierung der Betroffenen. Als 1995 dann endlich das erste wirksame Medikament und wenige Jahre später die Tritherapien auf den Markt kamen, war der erhoffte Durchbruch in der Behandlung geschafft. Menschen mit HIV konnten endlich aufatmen und ein erträglicheres und angstfreieres Leben führen.

Aids als chronische Krankheit

Heute leben in der Schweiz immer mehr Betroffene über 50 Jahre. Ihre Lebenserwartung nähert sich der ihrer nicht-positiven Altersgruppe an. Aids wird zu einer chronischen Erkrankung, die in den meisten Fällen nicht mehr lebensbedrohlich und relativ gut behandelbar ist. Manchmal vergisst man deshalb aber auch, dass sie immer noch nicht geheilt werden kann und in der Schweiz jedes Jahr durchschnittlich noch 50 Menschen daran sterben.

Die Betroffenen müssen damit leben, dass diese Krankheit sie voraussichtlich auf Dauer begleiten wird, auch wenn sie medizinisch gut betreut sind und relativ gut damit alt werden können. Oft sind sie sogar beschwerdefrei und haben eher mit anderen Problemen des Alterns zu kämpfen als mit den Folgen von HIV, wie das folgende Interview zeigt. Gleichzeitig belastet sie aber auch die Sorge über die möglichen Langzeitfolgen der Therapien oder die Frage, ob die Medikamente noch genügend lange wirken werden. Es gibt neuere Untersuchungen, die sogar vermuten lassen, dass sich bei ihnen möglicherweise der Alterungsprozess beschleunigen und Begleiterkrankungen wie Arthrose, Osteoporose oder Herz-Kreislauf-Beschwerden verschärfen könnten (siehe „Metabolismus und Aging“, Projekt der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie).

Neuansteckungen im Alter

Auch gilt es zu beachten, dass wir es bei älteren Betroffenen mit unterschiedlichen Gruppen zu tun haben: Es gibt nicht nur jene, die inzwischen seit langen Jahren mit ihrer Diagnose und Krankheit leben, medizinisch gut betreut sind und nun in ein entsprechendes Alter kommen, sondern es gibt auch jene, die sich erst im Alter mit HIV infizieren. Für sie ist die Situation besonders prekär. Nach dem ersten Schock müssen sie erfahrungsgemäss oft einen längeren Leidensweg durchlaufen, bevor die richtige Diagnose gestellt wird und entsprechende Therapien zur Anwendung kommen, da viele Fachleute und Angehörige kaum damit rechnen, dass auch alte Menschen noch Risikoverhalten zeigen oder sich gar infizieren könnten. Sex im Alter ist ein grosses gesellschaftliches Tabu, ebenso wie Drogengebrauch, das auch vor vielen Fachstellen, Arztpraxen und Familien nicht Halt macht. Weitere psychosoziale Faktoren und Fragestellungen finden Sie in einer ausführlicheren Version dieses Beitrags im Jahresbericht 2013 der Zürcher Aids-Hilfe.

In Zukunft werden sich Fachstellen wie die  Zürcher Aids-Hilfe oder die Aids-Hilfe Schweiz und Betroffene vermehrt mit dieser Thematik und deren Folgen beschäftigen müssen. Gesellschaft und Politik sollten sich mit der Tatsache vertraut machen, dass auch ältere Menschen von HIV und Aids betroffen sind. Um einer „doppelten Diskriminierung“ im Sinne von „Alt- und HIV-Positiv-Sein“ vorzubeugen, braucht es erneute Anstrengungen, um die Öffentlichkeit entsprechend für das Thema zu sensibilisieren und falschen Vorstellungen entgegen zu wirken.

Friederike Geray, Dipl.-Psychologin
Weiterbildungsbeauftragte Zentrum für Gerontologie und Vizepräsidentin Zürcher Aids-Hilfe

Alle
Bildung

Kommentar Schreiben

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert