Wie eine Reorganisation der Altersversorgung den Bedarf senken und die Qualität erhöhen kann

Statt 921 zusätzliche Pflegeheime bis 2040 braucht die Schweiz eine teils staatlich finanzierte gute ambulante Alters-Betreuung.

Aufgrund der bevorstehenden Zunahme von Hochbetagten durch die Baby-Boomer-Generation prognostiziert das OBSAN bis 2040 bei gleichbleibender Alterspolitik einen zusätzlichen Bedarf von 921 Durchschnittsheimen. Durch eine konsequente Verlagerung von leichter pflegebedürftigen Personen in betreute Alterswohnungen, in die Spitex und in ein neu aufzubauendes, national subventioniertes Betreuungssystem sollte der Zusatzbedarf an Heimplätzen massiv reduziert werden können. Die Weichen müssen jetzt gestellt werden, um unnötige Investitionen in Milliardenhöhe und zusätzliche jährliche Heimkosten von 4,7 Mia. CHF zu vermeiden.

Das Wichtigste aus dem OBSAN Bericht

Statt durch eine verkürzte Pflegedauer eine 11% geringere Steigerung der Pfegebetten Nachfrage zu erwarten scheint es sehr wahrscheinlich, diesen Effekt als grösser einzuschätzen, denn die Inzidenz der häufigsten Krankheit mit langer Pflegebedürftigkeit ist stark zurückgegangen, nämlich diejenige von Demenz (in 28 Jahren um 45 %)[1]. Deshalb erscheint eine Reduktion der Bettennachfrage durch dieVerkürzung der Dauer der Pflegebedürftigkeit bis 2040 um 21 % wahrscheinlicher. Dies entspräche einem zusätzlichen Bedarf von nur noch 639 neuen Heimen.

DieEntlastung der Pflegeheime (ohne Aufnahme von leicht Pflegebedürftigen) als Planungsvariante des OBSAN basiert auf einer konservativen Schätzung, weshalb als Vorgabe für die Planung einstärkere Entlastung der Pflegeheime möglich erscheint; bis 2040 resultierte dann nur noch ein Mehrbedarf von +40 % bis 45 %. Eine so massive Entlastung der Pflegeheime verlangt von vielen Kantonen einen massiven Ausbau der Spitex und des betreuten Wohnens, eine grosse Herausforderung für diese alterspolitisch eher konservativ Handelnden.

Bei verkürzter Pflegedauer und verstärkter Heimentlastung ergäbe sich in einem kombinierten Szenario vermutlich nur noch eine Erhöhung des Betten-Bedarfs um +20 % bis +30 %, was einem zusätzlichen Bedarf von neu 293 bis 438 Heimen entspricht. Mehr Heime braucht es jedoch nicht in der ganzen Schweiz sondern vor allem in den Kantonen mit einer Betonung von Heimen mit heute noch relativ wenig ambulanter Betreuung in ihrer Alterspolitik. Dies ist nur möglich mit verstärktem Ausbau der Spitex und Alterswohnungen vorwiegend für leicht betreuungs- oder pflegebedürftige oder aber obdachlose Betagte zugänglich zu machen. Zusätzlich braucht es in allen Alterswohnungen ein Angebot von betreuerischen und leichten pflegerischen Leistungen. Wo dies konsequent umgesetzt wird, wie z.B. in der Stadt Zürich können bis 2035 sogar ca. 600 Heimbetten abgebaut werden.

Eine gute soziale Betreuung (regelmässige Besuche und Ermöglichen von sozialer Teilhabe auch ausser Haus) und niedrigschwellige Haushalt-Unterstützung senkt  bei schon leicht behinderten Betagten den Pflegebedarf zusätzlich und verschiebt diesen ins hohe Alter. Deshalb kommt der schweizweiten Einführung einer guten Betreuung[2] auch von wenig begüterten Betagten eine grosse Bedeutung zu. Heute können sich diese nur finanziell gutgestellte Alte leisten. Denn die subventionierten haushaltunterstützenden Spitexleistungen sind von den meisten subventionierenden Gemeinden auf ein Minimum limitiert und für Sozialbetreuung nicht vorgesehen. Der subventionierte Ausbau von ambulanter Betreuung ist besonders wichtig, weil dazu keine Personen mit pflegerischer Ausbildung notwendig sind, sondern solche mit einer sozialen Ausbildung und von diesen instruierte und begleitete Laien.


[1] Kressig, R.W. (2016). Demenz: Neues aus Forschung und Praxis. Der informierte Arzt, 2016 (01), S. 43

[2] Wetter, M., Nagel, M., Bühl, H., Knöpfel, C., Spescha, E. & Wyser, G. (2022). Kosten und Finanzierung für eine gute Betreuung im Alter in der Schweiz. Bericht der Paul Schiller Stiftung. Zürich.

Kostenzunahme bis 2040

Gemäss Referenz-Szenario des OBSAN mit einer Zunahme um 921 Pflegeheime würden zusätzlich jährliche Gesamtkosten (Preisniveau 2020[1]) von 319 CHF/Tag x 365 x 59 x 921 anfallen, d.h. von 6,327 Mia. CHF pro Jahr, und zusätzlich Investitionskosten von vielen Milliarden Franken. Für Spitex fielen jährliche Mehrkosten von durchschnittlich 6734 CHF/Jahr/Person an (s. Fussnote 4), d.h. 1,003 Mia. CHF/Jahr.

Im oben skizzierten kombinierten Szenario mit Heimen ohne Personen mit niedrigem Pflegebedarf und mit kürzerer Pflegedauer dürften sich die jährlichen Mehrkosten der Heime bis 2040 auf 2 bis 3 Mia. CHF reduzieren, aber die Zusatzkosten für Spitex auf 2 Mia CHF/Jahr erhöhen. Dies resultiert in einer relativen Ersparnis von rund 3,25 Mia. CHF. Die dringend erwünschte Verbesserung der Betreuungssituation in der Schweiz würde Kosten von 2 – 3 Mia. CHF/Jahrerfordert gemäss Bericht der Paul Schiller Stiftung (s. Fussnote 3). So kann im Vergleich zum OBSAN-Szenario eine wesentlich verbesserte Betreuung kostenneutral finanziert werden. Wenn der Ausbau der Ambulanten oder Stationären Altersbetreuung nicht zügig dem Angebot angepasst wird, kommt es zu einer Unterversorgung der Langzeit Pflegebedürftigen.

So erscheint ein wahrscheinlicheres Szenario für die Altersbetreuung bis im Jahr 2040 möglich, und dies erst noch bei besserer Lebensqualität als heute, dank finanzierbarem Ausbau einer guten sozialen Betreuung und dadurch weniger Leiden an Einsamkeit.


[1] Bundesamt für Statistik (2022). Gesundheit – Taschenstatistik 2022 (Nr. 1540-2200). Neuchâtel: BFS.

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Kommentar

Dieser Wunschtraum würde wohl für unzählige ältere Personen das Leben wieder lebenswert machen!!!

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