Die Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich setzt in Zusammenarbeit mit dem Verein queerAltern und den Pflegezentren der Stadt Zürich ein visionäres Pionierprojekt um:
Wohn- und Lebensraum für ältere Angehörige der LGBTI*-Gemeinschaft in der Siedlung Espenhof ab 2025.
Ich bin jetzt 65 Jahre alt. Als homosexueller Mann und Mitbegründer des Vereins queerAltern habe ich mir oft Gedanken gemacht, was im Alter wohl aus mir werden könnte: Wo werde ich wohnen, wie werde ich leben, in welchem sozialen und kulturellen Umfeld? Schliesslich habe ich keine eigene Familie – keine Kinder, keine Frau, eine Lebensgeschichte, die im Kern nicht dem Normativen entspricht und ein soziales Umfeld, das in den Achtziger- und Neunzigerjahren mit der Aidskrise heftig durchgerüttelt wurde.
Eine meiner Vorstellungen: Ich lebe in einem Altersheim, gehe jeden Tag zum Mittag- und Abendessen in den Speisesaal, setze mich an den vorgegebenen Vierertisch mit drei Damen, die mir per se sympathisch und freundlich gestimmt sind. Eine Situation, wie ich sie beim Besuch von Freunden in Alters- und Pflegeheimen immer wieder beobachtete. Ich plaudere mit diesen «Gspähnli» förmlich und merke dabei immer wieder von neuem, wie ähnlich die Welten sind, in der die drei Damen lebten und wie anders sich meine Biographie entwickelte.
Gelebtes Leben ist die Sammlung von Geschichten, die wir uns erzählen
So geht’s mir durch den Kopf. Doch welche Geschichten aus meinem Leben soll, darf oder kann ich erzählen? Wieder ein Coming-Out? Mich wieder als Schwuler erklären müssen? Worauf stosse ich? Auf gutgemeintes Wohlwollen, auf Ablehnung, auf Interesse oder auf eine ganz einfache Normalität? Auch wenn sich in den vergangenen Jahren viel veränderte und LGBTI*-Menschen sogar schon bald heiraten dürfen, die unbewussten Vorurteile gegenüber anderssexuellen Menschen sind noch immer sehr weit verbreitet.
Wahrscheinlich sassen die meisten unserer Vereinsmitglieder schon einmal an diesem imaginären Vierertisch und zogen danach dasselbe Fazit: Es braucht einen Wohn- und Lebensort für ältere Angehörige der LGBTI*-Gemeinschaft, in dem sie ihre Geschichten erzählen und auf der Basis ihrer Gemeinsamkeiten das Leben im Alter miteinander gestalten können. Den Ball schliesslich ins Rollen brachte ein Gespräch am runden Tisch mit den Verantwortlichen der Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich, der Pflegezentren der Stadt Zürich und Andreas Hauri, Stadtrat und Vorsteher des Gesundheits- und Umweltdepartements der Stadt Zürich. In einem Punkt waren wir uns von Anfang an einig: Wir alle möchten im Alter an einem Ort leben, wo wir uns wohl fühlen und unsere Identität leben können.
Sind LGBTI*-Bedürfnisse im Alter gegenüber anderen denn so anders?
Ja – und nein. Bei der Pflege geht es, wie dies auch Studien belegen, ganz sicher um Intimes, das kaum adäquat angesprochen und gepflegt werden kann, wenn Pflegende nicht über ein LGBTI*-kulturelles Sensorium verfügen. Stellen Sie sich eine Transfrau vor. Also eine Frau, geboren in einem Männerkörper, die eine geschlechtsangleichende Operation hinter sich hat. Sie benötigt eine ganz eigene Pflege im Intimbereich. Solche schwierigen Themen möchte man in einem Umfeld ansprechen, in dem man sich wohl fühlt. Vielleicht geht’s noch etwas salopper: Ich rasiere mir seit 40 Jahren meinen Intimbereich. Das möchte ich auch zwischen 80 und 90 Jahren noch so handhaben – auch dann, wenn ich es nicht mehr selber bewerkstelligen kann. Diskutieren möchte ich dies sicherlich nicht. Auch hätte ich wahrscheinlich nicht die Energie dazu. Ich möchte, dass auch dies ein natürlicher Teil meiner Pflege und Körperhygiene sein kann. Auch wenn die Beispiele anekdotisch anmuten, sie weisen darauf hin, dass es ein entsprechendes Angebot braucht – nicht für alle, aber für alle die, die dies wünschen.
So entstand schliesslich ein einmaliges Pionierprojekt in der Stadt Zürich.
Die Stiftung Alterswohnungen SAW realisiert in Zusammenarbeit mit den Pflegezentren der Stadt Zürich und unserem Verein queerAltern den Espenhof Nord: Wohn- und Lebensort für ältere Angehörige der LGBTI*-Gemeinschaft, eingebettet in die bisherige Siedlung Espenhof in Albisrieden.
Blick in die Zukunft und die Aufgabe von queerAltern
Wer 2025 im Espenhof Nord steht, wird nicht gleich merken, dass hier etwas «anders» ist. Das ist auch gut so. Vielleicht sind die Wände etwas farbiger, oder das eine oder andere Bild passt nicht so wirklich in eine Siedlung mit Alterswohnungen. Ein Bild von «Tom of Finland» wäre aus meiner Sicht schon irgendwie Pflicht! Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, ob das lesbische Pärchen von neben an seine Freude daran hätte. Ja, die LGBTI*-Gemeinschaft ist in sich sehr heterogen, auch wenn das Coming-Out für alle ein prägender und identitätsstiftender Faktor ist. Deshalb übernimmt der Verein queerAltern eine vorbereitende, unterstützende und integrierende Aufgabe bei der Umsetzung des Projekts. Er bereitet die Mitglieder und künftigen Bewohnenden des Espenhofs Nord im Rahmen seines Projekts Caring Community queer Altern auf das Abenteuer vor.
Separieren versus Integrieren: Gelebte Vielfalt im Espenhof
Eigenheiten untereinander leben und aktiver Teil des Gesamten sein, so wäre mir das Zusammenleben in der Siedlung Espenhof am liebsten. Ich spreche hier von einer natürlichen Gruppenbildung im Espenhof Nord mit dem Kristallisationspunkt: Ich kann sein, wer ich bin. Ein Ort ohne ein weiteres Coming-Out.
So wird das Zusammen auch im Verein queerAltern gelebt. Ein Heteropaar ist bereits Mitglied und es könnten mehr werden. Die beiden würden im Alter gerne mit uns im Espenhof leben. Genau diese Durchmischung wünschen wir uns.
Meine Vision für den Espenhof
Vor allem möchte ich nicht hören, dass «die» ja dort wohnen. Es soll ein Miteinander sein, eine Gemeinschaft. Man begegnet sich und ist Teil eines Ganzen. Vielleicht bin ich dann selbst am Rollator, treffe eine Bewohnerin aus dem anderen Teil des Espenhofs und plaudere mit ihr und ihrem Enkel. Und übrigens – im Espenhof Nord wird’s ein Gartenzimmer geben, also ein ausgelagertes Wohnzimmer. Dort kann man entspannt übers Coming-Out und die vielen anderen Geschichten mit den Bewohnenden der Siedlung reden – herzlich willkommen!
Mehr Informationen zur Siedlung Espenhof Nord: https://www.wohnenab60.ch/siedlungen/bauprojekte/espenhof-nord/
Mehr Informationen zum Verein queerAltern: www.queeraltern.ch
Mehr Informationen zur Altersstrategie der Stadt Zürich: https://www.stadt-zuerich.ch/gud/de/index/departement/strategie_politik/alterspolitik-2035.html