Trotz altersbedingter Veränderung der verfügbaren körperlichen, sozialen und kognitiven Ressourcen sind viele ältere Menschen bei guter psychischer Gesundheit. Dieses auch als Wohlbefindensparadox in der gerontologischen Literatur bekannte Phänomen beruht auf diversen Schutzfaktoren, die in diesem Beitrag aufgezeigt werden – zudem erläutere ich Empfehlungen zur Stärkung psychischer Gesundheit im Alter.
Eine Mehrheit der älteren Menschen verfügt trotz zunehmender Belastungen und abnehmender körperlicher und sozialer Ressourcen über eine gute psychische Gesundheit. Dennoch lassen sich bestimmte Gruppen von vulnerablen älteren Menschen identifizieren: Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, alleinstehende und verwitwete Frauen und Männer, pflegende Angehörige und Menschen mit unangepassten Copingstrategien. Um die psychische Gesundheit älterer Menschen zu stärken, bieten sich diverse gesundheitsfördernde Massnahmen an. Wissen, Motivation und Unterstützung sind nötig, damit ältere Menschen selbstbestimmt ihre psychische Gesundheit erhalten und stärken können. Dabei helfen Bildungsangebote zur Aneignung neu benötigter Kompetenzen, ein gesunder Lebensstil, ein angepasstes Wohnumfeld, soziale Teilhabe, Möglichkeiten zum gesellschaftlichen Engagement, aufsuchende Dienstleistungen für schwer erreichbare Menschen sowie Entlastungsangebote und Ressourcenstärkung für pflegende Angehörige. Die Gesellschaft, Kantone und Gemeinden, Arbeitgeber sowie Fachpersonen schaffen Rahmenbedingungen und können dazu beitragen, dass ältere Menschen trotz zunehmender Belastungen ihre Ressourcen optimal nutzen und lange, und mit hohem Wohlbefinden, zu Hause leben können.
Schutzfaktoren für die psychische Gesundheit
Die Bewältigung oder Vermeidung von Risiken ist im Wesentlichen von Schutzfaktoren und Ressourcen abhängig. Diese moderieren den Umgang mit Belastungen und wirken sich langfristig und stärkend auf die psychische und physische Gesundheit aus (Lyssenko, Frankowiak & Bengel, 2011). Fehlen solche Schutzfaktoren, ist mit einer Destabilisierung der psychischen Gesundheit und Stressreaktionen zu rechen. Schutzfaktoren, von denen hier die Rede ist, lassen sich auf den Ebenen des Individuums, der sozialen Struktur und der Gesellschaft ansiedeln (Lyssenko et al., 2011; CAMH, 2010; Friedli et al., 2007; JanéLlopis & Gabilondo, 2008; Seymour & Gale, 2004). Dazu gehören beispielsweise auf individueller Ebene Persönlichkeitsmerkmale wie eine positive Lebenseinstellung, Selbstbewusstsein oder ein hoher Selbstwert. Aber auch Bewältigungsstrategien und Kompetenzen und körperliche Ressourcen gehören im Bereich des Individuums dazu.
Zu den sozialen und strukturellen Faktoren zählen wir soziale Netzwerke, wie das Wohnen in der Nähe von Bezugspersonen, Freundschaften oder auch Zugang zu lokalen Unterstützungs- und Servicedienstleistungen, Freiwilligenarbeit oder andere Formen der Partizipation.
Die Widerstandskraft bzw. Resilienz einer Person wird demnach von den entsprechenden Ressourcen oder Schutzfaktoren bestimmt, welche in der Folge eine erfolgreiche Bewältigung kritischer Lebensereignisse ermöglicht. Menschen, die eher nicht resilient sind, zeichnen sich durch eine geringe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit aus. Sie reagieren auf Herausforderungen mit Angst. Ihnen fehlt die Fähigkeit, nach Eintreten von Anforderungen und Verlusten das frühere psychische Anpassungs- und Funktionsniveau wiederherzustellen.
Das Alter an sich ist nicht mit einer höheren Gesamtrate an psychischen Erkrankungen verbunden (Benz et al., 2006; Schuler & Meyer, 2006). Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit, an einer psychischen Störung zu erkranken, bei alten Menschen höher als bei Jungen (76% zu 34%). Die erhöhte Vulnerabilität wird vor allem durch das Auftreten von hirnorganischen Veränderungen bestimmt. Das Erscheinungsbild einer psychischen Störung ist sehr häufig kombiniert mit körperlichen Beschwerden, aus denen dann psychische Probleme entstehen (Schuler, Ruesch & Weiss, 2007). Zudem findet man bei den psychischen Erkrankungen immer wieder auch Kombinationen zweier Erkrankungen wie beispielsweise Depression und Angststörung.
Empfehlungen
Zielsetzung der Bestrebungen von Gesundheitsförderung ist die Stärkung der psychischen Gesundheit durch eine Verbesserung des Gesundheitsverhaltens auf der einen Seite und eine Optimierung der Lebensumstände auf der anderen Seite. Im Fokus stehen also sowohl das Verhalten der Person als auch die Verhältnisse, in der sie lebt. Adressat der Angebote, Massnahmen und auch Strategien ist im Grundsatz die gesamte Bevölkerung, und damit in der Folge jede einzelne Person. In logischer Konsequenz umfassen sie also alle Lebensbereiche, die individuelle Lebensführung und auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen.
Für die Lebensphase Alter liegt der Schwerpunkt auf Massnahmen, die helfen, die psychische Gesundheit zu stärken und weitere psychische Beeinträchtigungen zu verhindern. Besonders erfolgversprechend sind Strategien, die sowohl das Gesundheitsverhalten als auch die Lebensumstände einer Person betreffen.
Individuelles Verhalten und äussere Verhältnisse stehen in Interdependenz, sodass beide gleichermassen Ansatzpunkte der Förderung psychischer Gesundheit sein müssen.
Einen Einblick in bereits entwickelte und zum Teil auch umgesetzte Strategien zur psychischen Gesundheitsförderung im Alter gibt die folgende Zusammenstellung (CAMH, 2010, Jané-Llopis & Gabilondo, 2008, ProMenPol, 2009):
- Verfügbarkeit von Möglichkeiten für sinnvolle Aktivitäten
- Förderung eines gesunden Lebensstils
- Verfügbarkeit von Möglichkeiten für körperliche Aktivitäten und Training
- Stärkung positiver Beziehungen
- Verbesserung kommunaler Partizipation
- Verfügbarkeit von Möglichkeiten für sicheres und unabhängiges Leben
- Verfügbarkeit von angemessenen Gesundheits- und Sozialdiensten
- Bekämpfung von Altersdiskriminierung
Eine wichtige Voraussetzung zur Anwendung und Inanspruchnahme solcher Angebote auch auf individueller Ebene ist vor allem auch die Information über die Bedeutung und Beeinflussbarkeit der psychischen Gesundheit. In vielen öffentlichen Diskussionen steht die körperliche Aktivität sehr im Vordergrund. Dabei geht unter, dass ein funktionierender Körper mit psychischer Erkrankung ebenso wenig oder vielleicht sogar weniger Lebensqualität bietet als der umgekehrte Fall. Es hat den Anschein, als finde hier eine Überbewertung der körperlichen Funktionsfähigkeit statt, und dem muss dringend mit guter Information entgegengewirkt werden. Denn nicht nur im körperlichen Bereich lässt sich durch Prävention und Verhaltensänderung etwas bewirken, sondern auch im Bereich des psychischen Wohlbefindens. Aber solche Angebote sind oftmals weniger vorhanden, weniger bekannt und werden auch weniger genutzt; nicht zuletzt auch deshalb, weil man ihnen nicht wirklich viel Erfolg zuspricht. Wissenschaftliche Untersuchungen hingegen zeigen, dass sich nachführend aufgelistete Massnahmen als wirksam erwiesen haben (Friedli et al., 2007; Jané-Lopis & Gabilondo, 2008):
- Vermittlung von Bewältigungsstrategien und Kompetenzen
- Anreize zu physischen Aktivitäten
- Anreize zu spirituellen und kreativen Aktivitäten
- Möglichkeiten zur sozialen Integration
- Zugang zu sozialer Unterstützung und sozialen Netzwerken
Es ist wichtig sich bis ins hohe Alter um die eigene psychische Gesundheit zu kümmern. Durch individuelle, organisierte oder familiäre Unterstützung können unterschiedliche Massnahmen getroffen werden, die die Person in ihrer Ressourcennutzung fördern kann.
Literatur
Benz, P., Gut, E., Hock, Ch., Minder, J., Noser, O. & Radman, I. (2006). Bericht der Arbeitsgruppe “Gerontopsychiatrie“ zur alterspsychiatrischen Versorgung im Kanton Zürich Im Auftrag des Vorstandes des Zürcher Vereins Psychiatrischer Chefärzte (ZVPC).
CAMH. (2010). Best practice guidelines for mental health promotion programs: Older adults 55+. Toronto: Centre for Addiction and Mental Health.
Friedli, L., Oliver, C., Tidyman, M, & Ward, G. (2007). Mental health improvement: evidence based message to promote mental wellbeig. Edinburgh: NHS Health Scotland.
Jané-Llopis, E. & Gabilondo, A. (Eds). (2008). Mental Health in Older People. Consensus paper. Luxembourg: European Communities.
Lyssenko, L., Franzkowiak, P. & Bengel, J. (2011). Resilienz und Schutzfaktoren. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.): Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Verlag für Gesundheitsförderung: Werbach-Gamburg.
ProMenPol, (2009). A Manual for Promoting Mental Health and Wellbeing: Older Peoples Residences [Online]. Verfügbar unter http://www.mentalhealthpromotion.net/?i=promenpol.en.promenpol-tool-kit [04.09.2013].
Seymour, L. & Gale, E. (2004). Literature & Policy Review for the Joint Inquiry into Mental Health and Wellbeing in Later Life. London: Age Concern England/Mental Health Foundation.
Schuler, D., Rüesch, P. & Weiss, C. (2007). Die psychische Gesundheit in der Schweiz – Monitoring. Arbeitsdokument 24. Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium (Obsan).
Kommentar
Besten Dank für das wichtige Thema! Weiteres Wissen und Ideen zur Umsetzung der Gesundheitsförderung im Alter – auch auf der sozialen und strukturellen Ebene – finden sich im Grundlagenbericht 10 “Gesundheitsförderung für und mit älteren Menschen. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Empfehlungen für die Praxis” (Nov. 2022) von Gesundheitsförderung Schweiz, im Kapitel 9 (ab S.73).(https://gesundheitsfoerderung.ch/sites/default/files/2022-12/Bericht_010_GFCH_2022-11_-_Gesundheitsfoerderung_fuer_und_mit_aelteren_Menschen.pdf).