Es ist bekannt, ältere Menschen wollen so lange wie möglich in ihrem bisherigen Umfeld wohnen bleiben, auch wenn sie Betreuung, Unterstützung und Pflege benötigen. «Wohnen wie gewohnt» oder auch «Ageing in place», dieser Wunsch wird von der älteren Bevölkerung westlicher Industrienationen unisono geäussert, so auch in der Schweiz. Das haben auch die öffentlich durchgeführten Mitwirkungsanlässe zur Erarbeitung der Stadtzürcher Altersstrategie 2035 erneut und deutlich aufgezeigt.
Dem zentralen Wunsch der älteren Bevölkerung zu entsprechen, möglichst lange im gewohnten Umfeld wohnen zu können, ist ein wichtiges Ziel der Altersstrategie 2035. Die Zielsetzungen der Altersstrategie der Stadt Zürich haben Auswirkungen auf die Ausgestaltung und das Angebot zukünftiger städtischer Gesundheitszentren für das Alter sowie auf das Angebot der bestehenden Alters- und Pflegeinstitutionen. Ein Wandel wird sich nicht aufhalten lassen. Ein Blick in die gerontologische Fachliteratur sowie ins deutsch- und nordischsprachige Ausland und in die Sammlung schweizerischer Beispiele der Age Stiftung zeigt dabei klare Tendenzen.
Nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen Ländern Europas wird das Grundprinzip verfolgt, wonach Menschen nach Möglichkeit ausserhalb von stationären Einrichtungen in einer privaten Wohnung – den eigenen vier Wänden – alt werden können sollen. So zeigt sich auch im Ausland eines ganz klar: Älter werdende und alte Menschen wohnen im Regelfall in einer gewöhnlichen und immer öfter auch altersgerecht gestalteten Wohneinheit mit Küche, Bad und mindestens zwei Zimmern. Dänemark etwa hat in den vergangenen 20 Jahren gar stationäre Pflegeheimplätze umgewandelt – in für Pflege geeignete Wohnungen. Sei es im deutschsprachigen Raum oder in Skandinavien, überall gilt: Erst wenn Wohnen in der privaten Wohnung aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen trotz unterschiedlichster ambulanter Unterstützungs- und Pflegeangebote nicht mehr möglich ist, kommen institutionalisierte stationäre Wohnformen zum Zug. Die Pflegebedürftigkeit ist dann zumeist bereits relativ hoch.
Es gibt also grundsätzlich zwei Formen: Das private Wohnen in den eigenen vier Wänden, oder – wenn das nicht mehr möglich ist – institutionalisiertes Wohnen in einem stationären Pflege- und Betreuungssetting. In allen Ländern, so auch der Schweiz, zeigt der Trend klar in Richtung Wohnen mit Betreuungsleistungen in der eigenen (Alters-)Wohnung, wenn möglich bis zum Tod. Das private Wohnen in den eigenen vier Wänden kann dabei entweder in einer ganz normalen Mietwohnung, im Wohneigentum oder in einer spezifischen Alterswohnung stattfinden. Alterswohnungen befinden sich meist ganz in der Nähe oder gar direkt angedockt an eine bestehende Alters- und Pflegeinstitution, weil diese Kombination Synergien ergibt. Die Wohneinheit ist immer komplett ausgestattet mit eigener Nasszelle, Küche und mindestens einem Zimmer. Oft sind es gar zwei oder drei Zimmer – je nach Lebensform, finanziellen Mitteln und Anzahl Personen. Hilfe, Unterstützungs- und Betreuungsleistungen können nach Wunsch und individuellem Bedarf bezogen werden: sozusagen ein «Wohnen mit Betreuung zu Hause».
In der Stadt Zürich gibt es eine weitere Form. Es handelt sich dabei um die Wohnform des klassischen Altersheims. Es ist ein institutionalisiertes Angebot in den ehemaligen Alterszentren, das sich überwiegend an rüstige und als «nicht bis kaum pflegebedürftig[1]» geltende Seniorinnen und Senioren richtet, aber gleichzeitig auf der Pflegeheimliste figuriert. Von allen Bewohnerinnen und Bewohnern dieser Institutionen sind rund zwei Drittel in Pflegestufe 0–2 eingereiht (Stand Februar 2022: 64 %).
Die Wohnform Altersheim stammt aus einer Zeit, als verwitwete oder alleinstehende ältere Menschen ins Heim zogen, weil ihnen der Haushalt und der Alltag altersbedingt allmählich zu beschwerlich wurde und/oder sie nicht alleine leben wollten. Heute noch ziehen Menschen ein, die kaum pflegebedürftig sind, aber einen gewissen Bedarf an Unterstützung im Alltag haben, Sicherheit wünschen und Gesellschaft schätzen. Und ein Teil von ihnen zieht ein, weil sie Unterstützung und Betreuung benötigen, sich diese zu Hause aber aufgrund ihrer bescheidenen finanziellen Situation und des heute geltenden Finanzierungsmodells nicht leisten können. Mit dem Umzug in die institutionalisierte Form des Wohnens mit Betreuung im Altersheim wird die Finanzierung dieser Betreuungsleistungen über Beiträge der öffentlichen Hand möglich. Wohnen mit Betreuung im Altersheim weist eine wichtige soziale Komponente auf: Vereinsamungstendenzen zu Hause kann damit effektiv entgegengewirkt werden. Somit erfüllt diese Form des Wohnens vor allem eine soziale Funktion und weniger eine medizinisch-pflegerische. Die Altersstrategie 2035 fordert daher die Umwandlung eines Teils dieser Wohnplätze in ein «Wohnen mit Betreuung», wie es eingangs beschrieben wurde. Dieses unterscheidet sich jedoch sowohl infrastrukturell (komplette Wohnung vs. Zimmer mit Nasszelle) als auch von der Haushaltsform her (Privathaushalt vs. Kollektivhaushalt) deutlich vom Angebot in den ehemaligen Alterszentren.
Wie bereits dargelegt, muss zukünftig davon ausgegangen werden, dass der Übertritt in ein institutionalisiertes Wohnangebot einer Alters- und Pflegeinstitution erst dann erfolgt, wenn ein Verbleib aufgrund des hohen Pflegebedarfs zu Hause trotz ambulanter Unterstützung nicht mehr möglich ist. Dieser Trend hat schweizweit längst eingesetzt, Altersheime sind nach und nach zu Pflegeheimen geworden. Eben diese Transition und damit auch die Anpassung des Angebots auf heutige und künftige Bedürfnisse steht in den städtischen Gesundheitszentren für das Alter in den kommenden Jahren und Jahrzehnten bevor.
Wie das aussehen könnte, zeigt das Wohn- und Pflegemodell von CURAVIVA Schweiz. Es sieht die zukünftige Rolle von «Pflegeinstitutionen […] als Dienstleistungsunternehmen, die älteren Menschen ein selbstbestimmtes Leben in ihrem bevorzugten Wohnumfeld ermöglichen» (CURAVIVA 2020b: 7). Mit dieser Veränderung der Rolle kommt einer Altersinstitution eine neue Funktion als quartiernaher Treffpunkt und Begegnungsort sowie als Dienstleisterin für die darum herum wohnende (ältere) Bevölkerung zu. Mittel- bis langfristig werden sich die Gesundheitszentren für das Alter in diese Richtung verändern und adaptieren. Die Stadt Zürich ist dabei gut aufgestellt: Mit der Stiftung für Alterswohnungen, die das nicht-institutionalisierte Wohnen im Alter abdeckt und den Gesundheitszentren für das Alter, die institutionalisiertes Wohnen bei mittlerem bis hohem Pflegebedarf anbieten. Liegen beide Angebote auch noch geografisch in unmittelbarer Nähe, wie das heute bereits an einigen Standorten der Fall ist, birgt dies grosse Chancen. So gilt es an diesen Standorten, die Angebote beider Akteure nahtlos aufeinander abzustimmen, um die Betroffenen jederzeit bedarfs- und bedürfnisgerecht bis ins hohe Alter hinein begleiten und unterstützen zu können und Vereinsamungstendenzen frühzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken.
[1] Entspricht Pflegestufen 0, 1 und 2 (von insgesamt 12) mit bis zu max. 40 Minuten Pflegebedarf/Tag
Literatur
AGE-STIFTUNG 2011a
Age-Stiftung (2011). Age Dossier: Stationär – und mehr. Age Award 2011.
Zürich.
AGE STIFTUNG 2011b
Age Stiftung (2011). Wohnformen für die Generationen 50 plus in Dänemark. Dokumentation einer Studienreise für Wohnbaugenossenschaften im Mai 2011.Zürich.
AGE STIFTUNG 2021
Age Stiftung (2021). Acherhof – vom Alterszentrum zum Dorfquartier für alle Generationen. Förderprojekt I-2021-011.
https://www.age-stiftung.ch/foerderprojekt/acherhof-vom-alterszentrum-zum-dorfquartier-fuer-alle-generationen/ (Dezember 2021)
CITY OF TAMPERE 2020
City of Tampere Finland (2020). Support for Aging. A Plan for Supporting the Elderly 2020-2023. Tampere.
https://www.tampere.fi/tiedostot/s/wZiQn2TkR/supportforaging.pdf (September 2021)
CURAVIVA 2019
CURAVIVA Schweiz (2019). Faktenblatt: Wohn- und Pflegemodell 2030. Dienstleistungsqualität – Definitionen, Perspektiven und Messung. Bern.
CURAVIVA 2020a
CURAVIVA Schweiz (2020). Faktenblatt: Vision Wohnen im Alter. Bern.
CURAVIVA 2020b
CURAVIVA Schweiz (2020). Das Wohn- und Pflegemodell 2030 von Curaviva Schweiz ist der Vielfalt verpflichtet. In: Fachzeitschrift Curaviva – Wohnen. Ausgabe 1-2|20. Bern. 6-11.
ETH CASE 2014
Hugentobler Margrit, Wurster Elke (2014). Zuhause alt werden. Zur Umsetzung von «ambulant vor stationär» am Beispiel der Alterspolitik in Schaffhausen. In: Im Fokus Nr. 01|2014. Zürich.
IPW 2020
Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld IPW (2020). Empfehlungen zum Aufbau quartiersorientierter Hilfe- und Versorgungsstrukturen nach dem Bielefelder Modell. Eine Handreichung für Kommunen, Wohnungsunternehmen, ambulante Dienste und andere Interessierte. Bielefeld.
https://docplayer.org/190785132-Empfehlungen-zum-aufbau-quartiersorientierter-hilfe-und-versorgungsstrukturen-nach-dem-bielefelder-modell.html (Dezember 2021)
KÖRBER STIFTUNG 2020
Köber Stiftung (2020). Die altersfreundliche Stadt Tampere setzt auf Service unter einem Dach.
Tampere – Körber-Stiftung (koerber-stiftung.de) (Dezember 2021)