Gute Betreuung im Alter

Nostalgiker*innen schwärmen von der guten alten Zeit, als die Gemeindeschwestern noch ganzheitlich alte Menschen betreuten und ihnen daneben noch pflegerische Handlungen zugutekommen liessen, als Hausärzte noch ihre Patienten umfassend betreuten und bei ihnen daneben noch die korrekten Diagnosen stellten und die richtigen Medikamente abgaben. Heute hingegen klagen sowohl die Hausärzteschaft als auch die Spitex-Pflegefachpersonen, dass sie durch die KVG-Regulierungen und deren Tarifsysteme und durch die dadurch bedingte Minutenzuteilung für alle pflegerischen resp. medizinischen Handlungen daran gehindert werden, eine tragende Beziehung einzugehen und so die Basis für eine umfassende Betreuung zu schaffen.

Wenn gute Betreuung fehlt

Diese Bedingungen wurden geschaffen, um die enorme Mengenausweitung, die mit der zugenommenen Differenzierung von Medizin und Pflege einhergegangen ist, einzudämmen. Als sehr unerwünschte Nebenwirkung hat sich daraus ein massives Betreuungs-Defizit ergeben mit verheerenden Folgen:

  • Über ein Drittel der ausgebildeten Pflegefachpersonen steigt wenige Jahre nach Abschluss der Berufsausbildung aus dem Pflegeberuf aus, vor allem weil der erlebte Pflegealltag nicht mehr von der erwarteten Beziehungsarbeit, sondern vom Abspulen funktioneller Pflegeaufgaben geprägt war.
  • Fehlende ganzheitliche Betreuung führt zu zunehmender Vereinsamung und massiver Verschlechterung der Gesundheit vieler älterer Menschen. Denn diese Regulierungen beachten nicht die in unzähligen Forschungsarbeiten immer wieder bestätigten Erkenntnisse, dass Vereinsamung mit grossem Abstand der wichtigste Risikofaktor für schlechte körperliche, geistige und psychische Gesundheit und zunehmende Pflegebedürftigkeit sind.
  • In der ärztlichen Betreuung führt der Zeitdruck, aufgrund dessen eine ganzheitliche Beziehung kaum aufgebaut werden kann (und soziale Aspekte deshalb nicht bemerkt und angegangen werden können), erst recht zu einer Mengenausweitung der apparativen Diagnostik und zur Übermedikation.  

Langsam findet die Erkenntnis immer mehr Anerkennung, dass die ganzheitliche Betreuung wieder in den Alltag der Pflege und Medizin integriert werden muss, und dass die dazu nötige Beziehungsarbeit ebenso wichtig ist wie die funktionellen pflegerischen und ärztlichen Handlungen. Deshalb sollten auch Letztere von den Sozialversicherungen finanziert werden, um eine Zwei-Klassen-Versorgung in der Altersbetreuung zu verhindern. Eine gute Betreuung können sich heute nur finanzkräftige Menschen leisten und dies erst noch oft zulasten von prekär entlohnten ausländischen Pendelmigrantinnen. Aus diesen Gründen wurde kürzlich eine Motion zur Finanzierung der Betreuungsarbeit den nationalen Räten eingereicht.

Die Finanzierung guter Betreuung im Alter

Doch wie muss eine Finanzierung der Betreuungsarbeit aussehen, um eine weitere massive Kostensteigerung im Gesundheitswesen zu vermeiden?

  1. Es muss anerkannt werden, dass alle pflegerische, medizinische und sogar hauswirtschaftliche Betreuung beeinträchtigter Menschen nur möglich ist, wenn dabei allen Beteiligten genügend Zeit und Beachtung eingeräumt wird, um die nötige Beziehungsarbeit zu leisten.
  2. Daraus muss eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten erfolgen, um die erkannten Bedürfnisse in allen Bereichen, insbesondere auch der sozialen Beziehungen und sozialen Teilhabe und sinngebenden Beschäftigung zu erfüllen.
  3. Dazu sind neben pflegerischen und medizinischen Fachpersonen auch solche der Sozialpädagogik, Gemeinwesenarbeit und Beschäftigungstherapie mindestens in die Betreuungsplanung einzubeziehen
  4. Ein zentraler Punkt muss dabei der vermehrte Einbezug und das sog. Empowerment von Angehörigen und Freiwilligen sein, seien dies Jugendliche oder Pensionierte und insbesondere auch geeignete und motivierte Asylsuchende (sobald diese wenigstens erste Grundzüge der dazu nötigen Sprache beherrschen, auch wenn sie erst vorläufig aufgenommen sind). Dies ist nur möglich, wenn dazu die nötigen personellen Ressourcen zum Motivieren, Einführen und Begleiten der freiwillig Tätigen und insbesondere auch der Angehörigen zur Verfügung gestellt und finanziert werden. Ob diese über eine pflegerische, sozialarbeiterische oder andere Ausbildung verfügen, sollte dabei irrelevant sein.

Fazit

Es muss anerkannt werden, dass eine solche ganzheitliche Betreuungsfinanzierung zwar ihren Preis hat, aber durch den vermehrten Einbezug und die Anerkennung des hohen Wertes von freiwillig Tätigen, der höheren Berufszufriedenheit der Betreuenden und Pflegenden, sowie der dadurch verbesserten Gesundheit und geringeren Pflegebedürftigkeit wahrscheinlich sogar längerfristig zu einem verminderten Kostenwachstum beiträgt.

Alle
Bildung
Dialog
Praxis

Kommentar Schreiben

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert