Entfernung von zu Hause und Arbeitsgedächtnis: Tägliche Assoziationen variieren je nach Nachbarschaft

Eine neue Studie zeigt: Wie weit sich ältere Erwachsene täglich von zu Hause entfernen, hat nicht grundsätzlich Einfluss auf ihre tägliche Arbeitsgedächtnisleistung. Entscheidend ist die Umgebung, in der sich Personen bewegen – manche Nachbarschaften sind förderlich, andere eher hinderlich.

Tag für Tag: Wie Mobilität und Umgebung das Gedächtnis beeinflussen

Bisherige Studien legen nahe, dass ausserhäusliche Mobilität mit besseren kognitiven Fähigkeiten und einem geringeren Risiko für kognitive Beeinträchtigungen zusammenhängt (z. B. Wettstein et al. 2014). Auch die Nachbarschaft spielt eine Rolle für die kognitive Gesundheit älterer Menschen (z. B. Chen et al. 2022).

Die neue Studie von Luo et al. (2025) untersuchte basierend auf Daten der «Mobilität, Aktivität und soziale Interaktionen»-Studie (MOASIS; Röcke et al., 2023) auf intrapersoneller Ebene, ob auch die tägliche maximale Entfernung von zu Hause mit der täglichen Arbeitsgedächtnisleistung älterer Menschen zusammenhängt – und inwiefern die Nachbarschaft diesen Zusammenhang beeinflusst.

Distanz allein reicht nicht

Die Ergebnisse zeigen: Eine grössere tägliche Entfernung von zu Hause hängt nicht automatisch mit einer besseren Gedächtnisleistung zusammen. Mit anderen Worten: An Tagen, an denen eine Person weiter entfernt vom eigenen Zuhause unterwegs ist, ist die Gedächtnisleistung dieser Person nicht unbedingt besser. Je nach Umgebung zeigt sich bei einzelnen Personen sogar das Gegenteil.

Wenig Vielfalt – negativer Effekt

In Nachbarschaften mit geringer Vielfalt an Geschäften und Einrichtungen ging eine grössere maximale Entfernung mit einer schlechteren Gedächtnisleistung einher. In solchen Nachbarschaften müssen womöglich weitere Strecken zurückgelegt werden, um alltägliche Aufgaben zu erledigen. Laut Theorien zur kognitiven Gesundheit (Bielak & Gow, 2022; Scarmeas & Stern, 2003) ist jedoch die geistige Stimulation entscheidend für die Erhaltung kognitiver Fähigkeiten. Werden also nur routinemässige Wege zurückgelegt, entstehen kaum neue Reize oder Herausforderungen – was zu einer geringeren kognitiven Aktivierung führen könnte.

Auf Fuss- und Radwegen zur besseren Gedächtnisleistung

Ein positiver Effekt zeigte sich in Nachbarschaften mit vielen Fuss- und Radwegen: Hier war eine grössere maximale Entfernung mit einer besseren Gedächtnisleistung im Alltag verbunden. In Nachbarschaften mit weniger Fuss- und Radwegen hingegen ging eine grössere Distanz wiederum mit einer schlechteren Gedächtnisleistung einher. Eine mögliche Erklärung: Schlechte Infrastruktur erfordert erhöhte Aufmerksamkeit, um Stürze zu vermeiden (Lee et al., 2018), was Stress, Schmerzen und Müdigkeit begünstigen kann (York Cornwell & Goldman, 2020).

Henne oder Ei?

Die Studie konnte nicht feststellen, ob eine bessere kognitive Tagesform zu mehr Mobilität führt oder ob eine erhöhte Mobilität die kognitive Leistung stärkt. Die zeitliche Richtung des Zusammenhangs bleibt also zunächst offen.

Fazit: Qualität vor Quantität

Entscheidend für die tägliche Arbeitsgedächtnisleistung ist also nicht allein und für jede Person die Entfernung von zu Hause, sondern vielmehr die Umgebung, in der sich ältere Menschen bewegen. Eine abwechslungsreiche, fussgänger- und radfreundliche Nachbarschaft kann das Gedächtnis im Alltag fördern, während monotone oder schlecht erschlossene Umgebungen eher hinderlich sein können.

Referenzen

Bielak AA, Gow AJ (2022) A decade later on How to “Use It” So We Don’t “Lose It”: An update on the unanswered questions about the influence of activity participation on cognitive performance in older age. Gerontology. https://doi.org/10.1159/000524666

Chen X, Lee C, Huang H (2022) Neighborhood built environment associated with cognition and dementia risk among older adults: a systematic literature review. Soc Sci Med 292:114560. https://doi.org/10.1016/j.socscimed.2021.114560

Lee S, Lee C, Ory MG, Won J, Towne SD Jr, Wang S, Forjuoh SN (2018) Fear of outdoor falling among community-dwelling middle-aged and older adults: the role of neighborhood environments. Gerontologist 58(6):1065–1074. https://doi.org/10.1093/geront/gnx123

Luo, M., Kim, E.-K., Weibel, R., Martin, M., & Röcke, C. (in press). Distance from home and working memory: Daily associations varying by neighborhood environments in community-dwelling older adults. European Journal of Ageing.

Röcke C, Luo M, Bereuter P, Katana M, Fillekes M, Gehriger V, Alexandros S, Martin M, Weibel R (2023) Charting everyday activities in later life: study protocol of the mobility, activity, and social interactions study (MOASIS). Front Psychol 13:1–20. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2022.1011177

Scarmeas N, Stern Y (2003) Cognitive reserve and lifestyle. J Clin Exp Neuropsychol 25(5):625–633. https://doi.org/10.1076/jcen.25.5.625.14576

Wettstein M, Wahl H-W, Diehl MK (2014) A multidimensional view of out-of-home behaviors in cognitively unimpaired older adults: examining differential effects of socio-demographic, cognitive, and health-related predictors. Eur J Ageing 11(2):141–153. https://doi.org/10.1007/s10433-013-0292-6

York Cornwell E, Goldman AW (2020) Neighborhood disorder and distress in real time: evidence from a smartphone-based study of oder adults. J Health Soc Behav 61(4):523–541

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