Das Modell Pflegeoase

Eine Oase für Menschen mit schweren dementiell bedingten Einschränkungen – das ist die Idee der «Pflegeoase».

Menschen, die dementiell erkrankt sind, suchen Gemeinschaft – im Verlaufe der Erkrankung immer mehr. Das Kollektiv als ein Zufluchtsort, als Ort der sozialen Gemeinschaft, der Sicherheit und Geborgenheit bietet. Dies scheint eines der grossen Bedürfnisse zu sein für diese Menschen. Diesem Gedanken wollten wir damals Rechnung tragen, als wir uns Überlegungen machten, wie Menschen im sehr fortgeschrittenen Krankheitsstadium besser betreut und gepflegt werden können, auch wenn sie meist bettlägerig sind.

Die Geburt der Pflegeoase

Die erste Pflegeoase entstand 1998 in der Sonnweid – einem auf die Betreuung und Pflege spezialisiertem Heim für Menschen mit Demenz in Wetzikon. Wir konzipierten zuerst die «Oase 1», mit null Erfahrung, aber mit der festen Überzeugung, dass wir unsere Beobachtungen in ein Konzept fassen können: ein grosser Raum, in dem wird gelebt und gestorben, dort wird deutlich, wie Menschen in der Gemeinschaft diese Sicherheit erhalten. Wir gestalteten diese Oase sehr stark mit Elementen, von denen wir annahmen, dass diese den Menschen guttun können. So war vieles in Pastelltönen gehalten, die Vorhänge, die Wände, das Licht. Gleichzeitig schufen wir mit einem dunkelblauen Fussboden eine Grundlage für einen starken «Auftritt». Die Holzmöbel und Betten strahlten ebenfalls Natürlichkeit aus. Das Team wurde zusammengestellt – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die solch ein Konzept befürworteten und sich auf diese Arbeit einlassen wollten. Schwerpunkte waren natürlich Pflege, Pflege und nochmals Pflege, und wir fanden diese Menschen, die gerne pflegen.

Der gelebte Alltag zeigte sich so, wie wir es erwartet hatten – weniger Hektik, sehr gute Pflege, mehr Zeit. Mehr Zeit? Warum? Zum einen gibt es weniger Wege zu gehen als auf einer normalen Abteilung, zum anderen – und das als Hauptgrund – geht bei den Pflegenden sehr vieles Hand in Hand. Niemand muss in ein anderes Zimmer und jemand suchen, der helfen kann, die helfenden Hände sind im Raum. Da wird direkt und unkompliziert geholfen, da ist man zusammen am Arbeiten. Für die Bewohnenden bedeutet das, dass Momente der Einsamkeit und Angst stark reduziert werden.

Pflegeoasen heute

Pflegeoasen sind heute etabliert als Ergänzung in einem pflegerischen Gesamtkonzept. Die Vorteile betreffen nicht nur die Kranken, auch die Pflegenden sowie die Angehörigen. Sie gelten für alle. Den Menschen Sicherheit geben durch Gemeinschaft, ob ich arbeite, zu Besuch bin, ob ich selber erkrankt bin – in einer Pflegeoase wird täglich gelebt.

Natürlich brauchen Angehörige Unterstützung wenn es um die Frage geht: Oase ja oder nein? Natürlich können sich die wenigsten vorstellen, dass die eigene Mutter in einem solchen Oaseraum leben soll und sich auch noch wohlfühlen kann. Die beste Überzeugung dafür liefern Angehörige, die bereits diese Erfahrung gemacht haben und dann darüber erzählen können, wie es ist, wenn…

Soll meine Mutter jetzt nochmal an einen anderen Ort umplatziert werden? Ist das wirklich nötig? Ja, es ist notwendig, wenn die bestehende Situation so ist, dass eine andere Situation eine Verbesserung des Wohlbefindens bringen wird. Wir haben die Pflicht, den Menschen die beste Umgebung zu bieten, die für ihren momentanen Krankheitszustand am sinnvollsten erscheint – da ist eine Umplatzierung allermeist eine gute Entscheidung. «Der Mensch ist kein Baum, wenn er am falschen Ort steht, muss er den Ort wechseln». Von diesem Spruch habe ich mich immer leiten lassen.

Warum Pflegeoasen?

International sehen wir vor allem in Deutschland viele Pflegeoasen, die allermeist auch evaluiert wurden, meist vom Demenzsupport Stuttgart. Der deutsche Forscher Herrmann Brandenburg hat 17 Pflegeoasen evaluiert und dazu das Buch «Pflegeoasen in Deutschland» herausgegeben. Interessant dabei sind folgende Ergebnisse: weniger Schmerzempfindungen, bessere Versorgung mit Schmerzmedikamenten, Apathie und herausforderndes Verhalten sind reduziert, gesteigertes Aufmerksamkeitsniveau, bessere Gewichtszunahmen und andere (aus BibliomedPflege). Das sind sehr gute Argumente für das Modell Pflegeoase.

Pflegeoase – was sollte beachtet werden?

  • Die Oase ist «nur» Teil eines stationären Betreuungskonzeptes für Menschen mit Demenz. Sie darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist nur im Zusammenhang eines grossen Ganzen zu verstehen.
  • Oase ist ein «Nischenprodukt». Wir sehen einen sinnvollen Bedarf von ca. 10 % aller Pflegebetten einer Institution.
  • Oase ist kein Allheilmittel. Strukturelle Probleme etc. werden durch eine Oase nicht kleiner.
  • Oasenarbeitsplätze sind begehrt. Mitarbeitende, die gerne ausgiebig pflegen, sind dort am richtigen Ort eingesetzt und fühlen sich wohl.
  • Oasen sparen kein Geld. Der infrastrukturelle Aufwand ist nach den gemachten Erfahrungen eher höher, in keinem Fall tiefer. Der personelle Aufwand ist gleich, unabhängig der Wohnform.
  • Umgebung ist wichtig – Beziehung entscheidend. Qualität wird durch Menschen erzeugt. Unterschiedliche Qualität ist abhängig von den Menschen, die pflegen. Die Form kann mithelfen, dass etwas einfacher gut werden kann. Die Beziehung und die Beziehungsqualität steht im Vordergrund. Schlechte Pflege ist auch auf einer Oase möglich.
  • Die Atmosphäre einer Gruppe ist abhängig vom Arbeitsteam und von der Empathiefähigkeit der Mitarbeitenden. Damit wächst das Gefühl der Verantwortung und damit die moralische Pflicht, Gutes zu tun. 

Pflegeoasen international

In Deutschland war es vor allem Peter Dürrmann, der dort die erste Pflegeoase in Holle einrichtete. Er flog mit Angehörigen zu einer Besichtigung in die Sonnweid. Die waren vom Modell Pflegeoase so überzeugt, dass sie das auch in ihrer Heimat wollten und brachten die zuständigen politischen Gremien dazu, schliesslich ein Modellprojekt dafür zu entwickeln.

In Luxemburg gibt es zwei Pflegeoasen, obwohl die Familienministerin bei einem Besuch in der Sonnweid erklärt hat, dass es in Luxemburg keine Pflegeoasen geben wird.

In Velden am Wörthersee in Österreich wurde 2018 das Demenzzentrum MaVidaPark eröffnet. Dort wurde das Oasekonzept architektonisch neu definiert und umgesetzt. Ein sehr schönes Beispiel, wie sich Konzepte weiter entwickeln können.

Persönlicher Erlebnisbericht aus der Pflegeoase

Im Mai 2021 konnten wir Rosmarie – die Mutter meiner Frau – auf der Oase der Sonnweid bis zu ihrem Tod begleiten. Über diese Begleitung habe ich geschrieben:

https://alzheimer.ch/de/alltag/lebensraum/magazin-detail/875/rosmarie-in-der-oase-mit-mango-eis/

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