Das ABC–Pflegeorganisationsmodell der Gesundheitszentren für das Alter auf dem Prüfstand

In meiner Masterarbeit, die auf Arbeitgeberattraktivität des städtischen Gesundheitszentrums für das Alter Bombach fokussierte, zeigte ich nützliches Optimierungspotenzial bezüglich des dort angewendeten ABC-Pflegeorganisationsmodells auf.

Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Mass, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Massstäbe anlegen in der Meinung, sie passen auch heute noch (Georg Bernhard Shaw).

Gerade in den vergangenen zwei Jahren, die v.a. geprägt waren durch die Coronapandemie, wurde meines Erachtens eines nochmals viel klarer: Zeiten ändern sich! Von liebsamen oder auch unliebsamen Gewohnheiten und Gegebenheiten mussten wir uns verabschieden und uns fast täglich mit neuen Massnahmen auseinandersetzen – immer wieder neu Mass nehmen.

Es war gerade der Beginn der Coronapandemie im März 2020, als auch mein letztes Modul zur Masterarbeit an der ZHAW begann. Insofern liegt mir daran, Ihnen liebe Lesende zu erklären, dass meine Gedanken zu meiner Disposition der Masterarbeit damals noch völlig frei und ohne Gedanken an die Pandemie entstanden sind. Rückblickend hätten ein paar Fragestellungen wohl zu anderen Ergebnissen geführt, aber letztlich hat sich die Thematik meiner Masterarbeit nicht wesentlich geändert. Im Gegenteil – sie ist aktueller denn je und wurde aufgrund von Corona sogar noch verstärkt.

Fakt ist: Der Fachkräftemangel bewegt sich seit Jahren in einer Abwärtsspirale.

Schon lange vor Corona stellte die demografische Entwicklung in der Schweiz neben weitreichenden Auswirkungen wie der Überlastung des Rentensystems, sinkenden Steuereinnahmen, schwindenden Wachstumskräften und Überalterung der Bevölkerung ein schwerwiegendes Problem in der Betreuungsleistung von betagten Menschen dar.

Speziell in den Pflegeinstitutionen mangelt es immer häufiger an qualifizierten Pflegekräften, die Fluktuation war bereits vor der Pandemie sehr hoch. Nachteilig auf die Personalsituation wirkt sich auch das weit verbreitete – meist etwas negativ behaftete – Image der Langzeitpflege aus. Gesellschaftliche Ressentiments wie die Idee von stereotypen und monotonen Tätigkeiten, wenig medizinaltechnischen Verrichtungen, trägen Arbeitsprozessen oder Haltungen, sogar von Brain Waste wird gesprochen. All diese Faktoren sind nicht besonders förderlich für das Ansehen der Langzeitpflege.

Im Laufe meiner fast 23-jährigen beruflichen Laufbahn, die sich v.a. auf die Langzeitpflege fokussierte, stellte ich durch verschiedene Beobachtungen und viele Erfahrungen immer wieder fest, dass gut ausgebildete junge Menschen die Akutpflege als attraktiver bewerten, obwohl sie ihre Ausbildung in der Geriatrie absolviert haben. Oftmals wählen sie vielmehr das Spital als ihren zukünftigen Arbeitgeber als das Pflegezentrum.

Entgegengesetzt steigen in den Langzeitinstitutionen die Ansprüche der Patientinnen und Patienten in Bezug auf Pflegequalität und hohe Fachlichkeit. Krankenkassen fordern akribisch genaue Dokumentationen über die Leistungserfassung. Wird diese vernachlässigt, laufen die Institutionen Gefahr, betriebswirtschaftlichen Unregelmässigkeiten Folge zu leisten und / oder sogar Rückzahlungen an die Krankenkassen tätigen zu müssen, obwohl die Leistungen erbracht wurden, aber aufgrund des Zeitmangels der Pflegefachpersonen nicht vollumfänglich dokumentiert sind.

Meine Bearbeitung der Masterarbeit sollte demnach die Arbeitgeberattraktivität des städtischen Gesundheitszentrums für das Alter Bombach, auf extrinsische Motivationsfaktoren wie Lohn, Ansehen und Status überprüfen. Durch das kritische Hinterfragen der Aufgaben und Kompetenzen – im Sinne des Job-Enrichments innerhalb des ABC-Modells – sollten intrinsische Motivationsfaktoren wie Kreativität, Lern- und Leistungsfähigkeit, persönliches Wachstum, Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber, Zufriedenheit und Motivation bei täglichen Aufgaben ergänzend überprüft werden.

Ich bin und war der festen Überzeugung, dass mit zunehmenden Entscheidungsfreiheiten, mehr Verantwortung und erweiterten Kompetenzen über den eigenen Aufgabenbereich Brain Waste entgegengewirkt und die Motivation der Mitarbeitenden gefördert werden kann. Selbstverständlich mit dem grossen Ziel, die Arbeitgeberattraktivität für Pflegekräfte in der Geriatrie zu steigern und dem Pflegenotstand entgegenzuwirken.

Das ABC-Organisationsmodell kurz erklärt

Das ABC-Skill-und Grade-Mix-Modell ist ein dreistufiges Modell in Form eines sogenannten Tätigkeitsheftes (Stadt Zürich, Gesundheits-und Umweltdepartement, PZZ, 2014), das sich an den Kompetenzen der verschiedenen Ausbildungen in der Pflege orientiert. Je nach Funktionsstufe A, B, oder C arbeiten die Mitarbeitenden nach verschiedenen Schwerpunkten in der Pflege. Der Teamschlüssel beträgt dabei 35 % A-Level, 30 % B-Level und 35 % C-Level.

In der Erarbeitung der theoretischen Analyse und in Bezug auf den aktuellen Forschungsstand hat sich folgendes für das Modell versus die Umsetzungsrealität ergeben:

Die A-Level-Mitarbeitenden haben eine Führungsrolle innerhalb der Pflege und stellen die zentrale Position im Tagesgeschäft dar, indem sie in Abwesenheit der Abteilungsleitung meist die Funktion der Tagesverantwortung übernehmen.

In der praktischen Umsetzung zeigt sich, dass sie zu intensiv in die grundpflegerische Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner eingeteilt sind. Der aktuelle Verteilschlüssel innerhalb des ABC-Modells lässt es nicht zu, dass sie sich als Tagesverantwortung der Grundpflege entziehen können. Insofern werden wichtige Aufgaben wie die Dokumentation des Pflegeprozesses oder das Coachen von Mitarbeitenden vernachlässigt und oft nicht in der zu erwartenden und vorgesehenen Qualität erledigt.

Die B-Level-Mitarbeitenden sind in der Unterstützungsfunktion der A-Level-Mitarbeitenden. Sie führen delegierte Aufgaben der A-Level-Mitarbeitenden durch und unterstützen sie in den medizinaltechnischen Aufgaben. Häufig kommt es aufgrund personeller Engpässe bei A-Level vor, dass B-Level-Mitarbeitende in sogenannte «kleine Tagesverantwortungen» eingeteilt werden. D.h. sie führen bis auf die Unterstützung von A-Level-Mitarbeitenden auf einer anderen Abteilung die Tagesverantwortung allein durch.

Die Aufgaben und Kompetenzen der C-Level-Mitarbeitenden entsprechen im Grossen und Ganzen der Umsetzungsrealität im ABC-Modell. C-Level-Mitarbeitende sind für betreuerische und hauswirtschaftliche Aufgaben besonders wertvoll.

Ich finde allerdings, dass die Aufgaben der Pflegeverrichtungen v.a. der Grundpflege bei den Bewohnerinnen und Bewohnern als eigene Pflegeintervention im ABC-Tätigkeitsheft ergänzt werden müsste. So würden sich die C-Level-Mitarbeitenden ihres Tätigkeitsfelds noch bewusster und fühlten sich in Bezug auf die grundpflegerischen Tätigkeiten mehr in der Verantwortung.

Fazit

Das Ziel guter Arbeitsgestaltung sollte einerseits – in Form von Organisationsmodellen – an Anforderungen und Leistungsmöglichkeiten der Mitarbeitenden gebunden und definiert sein; andererseits sollte die Institution über genügend personelle Ressourcen verfügen oder diese – wenn nicht anders möglich – gezielter, flexibler und agiler einsetzen. Dies würde eine Aufweichung und Anpassung des ABC-Modells bedeuten.

Im Sinne einer motivierenden und attraktiven Arbeitsgestaltung wird das ABC-Modell nach meiner Auffassung ungenügend ressourcenorientiert eingesetzt. Eine vorausschauende und nachhaltige Personalplanung im Sinne einer Personal- und Anforderungsanalyse würde sich als wertvoll erweisen, um dem anspruchsvollen Pflegealltag gerecht zu werden.

Eine sogenannte «korrektive Arbeitsgestaltung» ist immer dann erforderlich, wenn ergonomische, physiologische, psychologische, sicherheitstechnische und rechtliche Anforderungen nicht mehr angemessen berücksichtigt werden können. In Bezug auf die Umsetzung des ABC-Modells sind es v.a. psychologische Gründe, die eine Anpassung erfordern. Ulrich (2011) beschreibt ergänzend die «prospektive Arbeitsgestaltung» als persönlichkeitsfördernd. Sie orientiert sich an den Möglichkeiten der Persönlichkeitsentwicklung im Stadium der Planung oder der Neustrukturierung von Arbeitssystemen und erzeugt objektive Handlungs- und Gestaltungsspielräume. Diese können dann von Beschäftigten in unterschiedlicher Weise genutzt und nach Möglichkeit erweitert werden.

Ich glaube, dass bei einer Optimierung des ABC-Modells im Sinne des Job-Enrichments die «prospektive Arbeitsgestaltung» gegeben und als persönlichkeitsfördernde Massnahme zu mehr Zufriedenheit – auch bei sehr knappen Personalressourcen – führen würde.

Weiterführende Links

https://www.disc.uni-kl.de/mgs/wp-content/uploads/docs/Studienbrief%20Arbeits-%20und%20Organisationsgestaltung.pdf

https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-05831-2_20?noAccess=true

Skill- und Grade-Mix-Modell – Stadt Zürich (stadt-zuerich.ch)

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