Adäquate Ernährung in der stationären Langzeitpflege

Was Essbiografie bietet und welche Verantwortung die Institutionen haben

Dieser Artikel ist im Fachmagazin für Pflege und Betreuung «NOVAcura» (Ausgabe 7/2024) erschienen.

Eine adäquate Ernährung im Alter ist komplex und erfordert die Zusammenarbeit aller Berufsgruppen in der Langzeitpflege. Sie muss nährstoffreich, abwechslungsreich und auf die physischen sowie emotionalen Bedürfnisse der Bewohner*innen abgestimmt sein. Die Essbiografie, die persönliche Essgewohnheiten, Vorlieben und kulturelle Aspekte umfasst, ist dabei zentral. Gesundheitlich angepasste Mahlzeiten, die die Freude am Essen bewahren, tragen zur Lebensqualität bei.

Laut Bundesamt für Statistik lebten im Jahr 2022 über 160 000 Menschen in einem Pflege- oder Altersheim. Männer waren im Durchschnitt ca. 82-jährig und

Frauen 85-jährig, wenn sie ins Altersheim eintraten. Ca. 60 % der Bewohner*innen weisen eine kognitive Einschränkung auf.

Das neue Zuhause in Pflege- und Altersheimen ist weit mehr als nur der physische Ort, an dem Menschen leben. Das Wohlbefinden in diesen Einrichtungen hängt von vielen Faktoren ab, darunter Sicherheit, Individualität, soziale Beziehungen, Autonomie, emotionale Erfüllung, bedeutungsvolle Aktivitäten und die Pflege von Erinnerungen.

Ein zentraler Aspekt des Wohlbefindens ist die Ernährung, die eng mit der allgemeinen Lebensqualität verbunden ist. Die Gestaltung eines Ernährungsplans, der auf die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Bewohner*innen eingeht, trägt entscheidend zu ihrer Gesundheit und Zufriedenheit bei und hilft ihnen, ihre Identität und Lebensfreude zu erhalten.

Was bietet die Essbiografie

In Altersheimen treffen Menschen mit vielfältigen kulturellen Hintergründen und Werten aufeinander. Daher ist es unerlässlich, Sensibilität und interkulturelle Kompetenz zu entwickeln, um eine qualitativ hochwertige Betreuung sicherzustellen. Eine umfassende Essbiografie – die detaillierte Aufzeichnung der Ernährungsvorlieben, -gewohnheiten und kulturellen Essenstraditionen der Bewohner*innen – kann eine wertvolle Grundlage für eine respektvolle und personalisierte Ernährungsgestaltung bieten.

Veränderungen des Essverhaltens im Alter

Beim Altern kommt es zu physiologischen Veränderungen, die Einfluss auf die Ernährung haben. Die Geschmacks- und Geruchswahrnehmung, die Speichelproduktion, Muskel- und Knochenmasse nimmt ab und verdauungsrelevante Organe verändern sich. Akute oder chronische Krankheiten können diese verstärken und die Ernährungssituation nachteilig beeinflussen. Diese Faktoren begünstigen das Auftreten von alterstypischen Krankheiten, dazu gehören unter anderem die Mangelernährung (Malnutrition), die Osteoporose, die Sarkopenie (altersbedingter kritischer Muskelmassenverlust mit Funktionseinbusse und Gefahr von Stürzen), die Presbyphagie (Altersschluckstörung) und Frailty (Gebrechlichkeit) sowie auch dementielle Erkrankungen.

Durch die Veränderungen essen ältere Personen oft kleinere Portionen, was vor allem im Konflikt mit dem erhöhten Proteinbedarf steht. Dessen Abdeckung ist entscheidend für den Erhalt der Muskelmasse und der Knochengesundheit sowie für die Stärkung des Immunsystems und zur Förderung der Wundheilung.

Der Kalorienbedarf ist aufgrund einer meist geringeren körperlichen Aktivität und eines langsameren Stoffwechsels im Alter reduziert. Dennoch ist eine ausreichende Energiezufuhr wichtig, um ungewollten Gewichtsverlust zu verhindern. Die Dehydratation (Wassermangel) ist ein häufiges Problem, da das Durstgefühl im Alter oft nachlässt. Dies kann zu kognitiven Beeinträchtigungen führen, negativen Einfluss auf die Nieren, den Blutdruck und auf die Defäkation haben.Eine optimale Ernährung ist in allen Lebensphasen wichtig, aber im Alter haben die Menschen aus den oben erwähnten Gründen besondere Bedürfnisse.

Institutionelle Verantwortung für die Ernährung

Eine Institution kann und soll die Verantwortung übernehmen, dass das Personal zu den Themen Ernährung und optimale Unterstützung rund ums Essen geschult ist und wird sowie ein angepasster Menüplan angeboten wird.

Dies bedeutet zum Beispiel im Alltag:

  • Erkennung und Umsetzung spezieller Ernährungsbedürfnisse: Langzeitinstitutionen müssen sicherstellen, dass spezielle Bedürfnisse oder Einschränkungen der Bewohner*innen, die durch Krankheiten verursacht werden – wie etwa Anpassungen der Konsistenz bei Kau- und Schluckbeschwerden – erkannt und in die Ernährungs- und Menüplanung integriert werden.
  • Nährstoffreiche Angebote: Die Mahlzeiten sollen die notwendigen Nährstoffe in konzentrierter Form enthalten, um den Bedürfnissen der Bewohner*innen gerecht zu werden.
  • Proteine erkennen: Das Personal soll in der Lage sein, die Proteinkomponenten in den Mahlzeiten zu erkennen und sicherzustellen, dass diese priorisiert werden –   besonders dann, wenn Unterstützung beim Essen benötigt wird. Das bedeutet zum Beispiel, dass das Personal wissen muss, dass nicht der Salat, sondern die Proteinkomponente Priorität hat.
  • Priorität der Proteinkomponenten: Wenn eine Portion reduziert wird, darf die Proteinkomponente nicht verringert werden; der Fokus liegt auf der Erhaltung der notwendigen Eiweisszufuhr.

Im Vergleich zu anderen Bereichen der Gastronomie sind die Anforderungen und die Verantwortung in der Versorgung der Bewohner*innen in Pflege- und Altersheimen besonders hoch. Diese Verantwortung erstreckt sich über das ganze Jahr, gilt an allen Tagen und umfasst mehrere wesentliche Aspekte, um eine optimale Ernährung sicherzustellen:

  • Vielfältiger und angepasster Menüplan: Der Menüplan muss nicht nur saisonal, regional und ausgewogen gestaltet sein, sondern auch kulturelle und religiöse Besonderheiten der Bewohner*innen berücksichtigen. Dies bedeutet, dass Traditionen, regionale Feste und Gepflogenheiten in die Menügestaltung integriert werden müssen. Beispielsweise sollten traditionelle Feiertagsgerichte oder kulturell bedeutende Speisen regelmässig auf dem Menüplan stehen, um den Bewohner*innen ein Gefühl der Vertrautheit und Zugehörigkeit zu geben.
  • Ansprache aller Sinne: Die Menüs sollten so gestaltet werden, dass sie möglichst alle Sinne ansprechen. Die Speisen müssen visuell ansprechend, geschmacklich vertraut und den Gewohnheiten der Bewohner*innen entsprechend sein.
  • Förderung der Essfreude: Die Atmosphäre und die Präsentation der Menüs spielen eine zentrale Rolle dabei, die Freude am Essen zu fördern und zu bewahren. Dies umfasst sowohl die Gestaltung des Essraums als auch die Art und Weise, wie die Mahlzeiten serviert werden. Ein angenehmes Ambiente und eine ansprechende Präsentation können das Esserlebnis erheblich verbessern und zu einer positiveren Einstellung gegenüber den Mahlzeiten beitragen.

Eine adäquate und lustvolle Ernährung in Alters- und Pflegeheimen kann nur durch eine enge interprofessionelle Zusammenarbeit gewährleistet werden. Dies erfordert regelmässige Kommunikation zwischen Ernährungsberatung, Servicemitarbeitenden und Pflegepersonal. Eine Essbiografie und eine fortlaufende Dokumentation der Ernährungsbedürfnisse und
-präferenzen der Bewohner*innen ermöglicht es, die Ernährung kontinuierlich anzupassen und zu optimieren.

Zusätzlich ist es wichtig, dass sowohl die Bewohner*innen als auch deren Angehörige umfassend über den Ernährungsbedarf im Alter informiert sind. Dies hilft, Missverständnisse zu vermeiden und sicherzustellen, dass alle Beteiligten die Bedeutung einer angepassten Ernährung verstehen und unterstützen.

Literatur

  1. Bundesamt für Statistik (BFS). (2024). Alters- und Pflegeheime. Abgerufen am 12. August 2024, von https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistik/gesundheit/gesundheitswesen/alters-pflegeheime
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