Friedhöfe haben sich stark gewandelt: Vor rund 100 Jahren war es in Zürich Frauen mit Kinderwagen untersagt, den Friedhof zu betreten[1] – 2023 eröffnete in Luzern das erste Friedhofscafé der Schweiz. Dieser Wandel zeigt die veränderte Wahrnehmung und Nutzung von Friedhöfen. Eine ZHAW-Studie im Auftrag der Abteilung Alter und Gesundheit der Stadt Luzern untersucht, welchen Beitrag das Friedhofscafé Friedental zur sozialen Gesundheit leistet.
Neue Perspektiven auf Friedhöfe: Erholung statt nur Trauer?
Wann waren Sie das letzte Mal auf einem Friedhof? Und was haben Sie dort gemacht? Diese Frage mag auf den ersten Blick ungewohnt erscheinen. Doch Friedhöfe sind längst nicht mehr nur Orte der Erinnerung und Trauer. Ihre Bedeutung als Erholungs- und Naturerlebnisorte wächst, denn die zunehmende bauliche Verdichtung in Städten und der damit verbundene Verlust an Grünflächen führen zu einem steigenden Bedarf an ruhigen, naturnahen Rückzugsorten.
Gleichzeitig entstehen durch den Wandel der Bestattungsformen immer mehr freie Flächen auf Friedhöfen. Die Zahl der traditionellen Einzel- und Familiengräber nimmt ab, während Gemeinschaftsgräber und alternative Bestattungsformen zunehmen. Immer mehr Städte und Gemeinden erkennen das Potenzial von Friedhöfen als städtische Grün- und Erholungsräume und stellen sich die Frage, welche Rolle Friedhöfe in Zukunft einnehmen sollen. So auch die Stadt Luzern. Sie stellte sich folgende Fragen: Wie können sie als städtische Grünflächen sinnvoll genutzt werden, ohne ihre traditionelle Funktion zu stören? Welche Beiträge können sie zu gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen leisten?
Friedhöfe im Wandel: zwischen Tradition und neuen Nutzungsmöglichkeiten
Trotz des grossen Potenzials, das Friedhöfe als Orte der Erholung bieten, gibt es Herausforderungen, die bei der Umsetzung neuer Nutzungsmöglichkeiten berücksichtigt werden müssen. Viele Friedhofsverwaltungen stehen solchen Veränderungen zurückhaltend gegenüber, da die Sorge besteht, die „Friedhofsruhe“ könnte gestört werden. Zudem zeigt sich, dass die Bedürfnisse unterschiedlicher Alters- und Nutzer*innengruppen berücksichtigt werden müssen.
Heute werden Friedhöfe mehrheitlich von älteren Menschen besucht, die dort die Gräber verstorbener Angehöriger pflegen. Gleichzeitig sind viele ältere Menschen in der Schweiz zunehmend von Einsamkeit betroffen.[2] Könnte eine gezielte Gestaltung von Friedhöfen dazu beitragen, dass sie verstärkt Orte der Begegnung werden und soziale Kontakte fördern?
Und was ist mit den jüngeren Generationen? Viele von ihnen haben keinen engen Bezug mehr zur Religion und wohnen oft nicht mehr dort, wo ihre Grosseltern oder andere Angehörige begraben sind. Sie meiden Friedhöfe, weil sie ihnen zu ernst erscheinen oder zu stark mit religiösen Traditionen verbunden sind, die ihnen fremd sind.[3] Wie könnte man den Zugang für diese Stadtbewohner*innen verbessern und Friedhöfe als offene, lebendige Orte für alle Generationen und Kulturen gestalten, ohne dabei den pietätvollen Umgang mit den Angehörigen der Verstorbenen zu gefährden?
Das Friedhofscafé Friedental: eine innovative Lösung
Der Friedhof Friedental in Luzern bietet mit dem ersten Friedhofscafé der Schweiz eine mögliche Antwort auf die oben genannten gesellschaftlichen und stadtplanerischen Herausforderungen.
Das «Café unter der Linde» wurde 2023 von den Theologinnen Li Hangartner, Carmen Jud, Beata Pedrazzini und Silvia Strahm Bernet gegründet. Ziel der Initiatorinnen war es, einen Ort der Begegnung zu schaffen, an dem in ruhiger Atmosphäre Gespräche entstehen können.
Heute betreiben die Initiatorinnen das Café gemeinsam mit rund 60 freiwilligen Helfer*innen. Es befindet sich in einem noch aktiv genutzten Teil des Friedhofs, jedoch in einer Randlage mit Blick auf den Rotsee. Das Freiluftcafé umfasst drei Tische mit zwölf Sitzplätzen und ein Kaffeemobil (mobiler Ausschanktresen). Das Angebot umfasst Kaffee, nichtalkoholische Getränke sowie selbstgebackenen Kuchen. Das Café ist von Anfang Mai bis Ende September – mit einer Sommerpause von Juli bis Mitte August – an regenfreien Tagen jeweils von Donnerstag bis Samstag von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Die wetterbedingt wechselnden Öffnungszeiten werden vor Ort per Plakatständer am Friedhofseingang sowie online kommuniziert.[4]
Da das Café im Pilotjahr 2023 auf grosse Resonanz stiess, wurde die Genehmigung durch die Stadt Luzern um weitere zwei Jahre (2024/2025) verlängert. Gleichzeitig wurde eine Evaluation in Auftrag gegeben, um eine Entscheidungsgrundlage für die Zukunft zu schaffen.
Positive Auswirkungen auf die Gemeinschaft und Generationen
Die 2024 durchgeführte Evaluation des Friedhofscafés zeigte zahlreiche positive Effekte. Besonders hervorzuheben ist der soziale Nutzen für ältere Menschen. Das niederschwellige Angebot fördert spontane Gespräche zwischen den Cafébesucher*innen – auch über schwierige Themen wie Tod und Verlust. Gleichzeitig schätzen viele Besucher*innen die Gespräche mit den freiwilligen Helfer*innen.
Für die rund 60 Freiwilligen, von denen die meisten im Pensionsalter sind, bedeutet das Engagement weit mehr als nur eine Aufgabe: Es bietet die Möglichkeit, gebraucht zu werden, sich aktiv einzubringen und soziale Kontakte zu pflegen. Die gemeinsamen Arbeitseinsätze mit Menschen aus der eigenen Stadt und in ähnlichem Alter sowie der jährliche Apéro für alle Helfer*innen schaffen Gelegenheiten, neue Bekanntschaften zu schliessen und Freundschaften zu vertiefen. So entsteht rund um das Café ein wertvolles Netzwerk von Beziehungen.
Darüber hinaus hat das Café auch eine positive Wirkung auf jüngere Generationen. Der Friedhof wird nicht mehr nur als Ort der Stille und des Gedenkens wahrgenommen, sondern auch als Raum für Erholung und Austausch. Gerade in einer hektischen Stadt bietet das Friedhofscafé eine ruhige Alternative. Jüngere Menschen, die zuvor keinen Bezug zu Friedhöfen hatten, nutzen das Café heute zum Lesen und Entspannen und kommen dabei auch manchmal mit anderen Gästen ins Gespräch.
Akzeptanz in der Bevölkerung
Während es anfangs einige kritische Stimmen gab, zeigt sich mittlerweile eine breite Akzeptanz. Eine Umfrage der Friedhofsleitung ergab, dass 80% der Rückmeldungen das Friedhofscafé als Bereicherung betrachten, 5% dem Café neutral gegenüberstehen und 15% es ablehnen. Die respektvolle Umsetzung, die begrenzten Öffnungszeiten sowie der Verzicht auf Musik und Alkohol haben dazu beigetragen, dass das Café auch von Besucher*innen unterschiedlicher Religionen gut angenommen wird.
Fazit: ein Modell für die Zukunft
Das Friedhofscafé Friedental zeigt eindrucksvoll, wie Friedhöfe zu Orten der Begegnung und sozialen Interaktion werden können, ohne ihre traditionelle Bedeutung zu verlieren. Es leistet einen wichtigen Beitrag zur sozialen Gesundheit, insbesondere für ältere Menschen, und schafft einen Raum für generationsübergreifenden Austausch.
Diese neue Nutzung von Friedhöfen könnte als Modell für andere Städte und Gemeinden dienen, die sich den Herausforderungen einer wachsenden Stadtbevölkerung und einer alternden Gesellschaft stellen. Die Evaluation des Cafés liefert weitere wertvolle Erkenntnisse darüber, wie Friedhöfe als Orte der Ruhe, des Gedenkens und der Begegnung weiterentwickelt werden können.
Weblinks:
Link zum Friedhofscafé: https://www.friedhofscafe.ch/
Hinweis:
Der vollständige Bericht „Evaluation des Friedhofscafé“ wurde von der Stadt Luzern als vertraulich eingestuft. Die Einsichtnahme ist nur auf Anfrage und mit entsprechender Genehmigung möglich. Interessierte können sich an per Mail an die Autorin wenden: petra.koechli@zhaw.ch
[1] Gemäss Polizeivorschrift für den Städtischen Friedhof (1909).
[2] Vgl. Pro Senectute Schweiz. Einsamkeit im Alter. Verfügbar unter: https://www.prosenectute.ch/de/ratgeber/alltag/einsamkeit.html (Zugriff am 1.4.2025).
[3] Vgl. Amie, L., Köchli, P., & van Meel, D. (2025). Evaluation des Friedhofscafés unter der Linde: Evaluationsbericht z. H. der Stadt Luzern. ZHAW. (Vertraulich. Einsicht nur auf Anfrage und mit entsprechender Genehmigung.)
[4] Siehe Friedhofscafé | Friedhof Friedental | Luzern