Pflegeoase – ein Einblick in die Praxis

Pflegeoasen gibt es in den Pflegezentren der Stadt Zürich schon über viele Jahre. Seit dem ersten Betreuungskonzept nach dem «3-Welten-Modell» sind viele Verbesserungen eingeführt und das Konzept weiterentwickelt worden. Praxisbeispiele zeigen, was es heute bedeutet, in einer Pflegeoase zu arbeiten.

Die Mutter der Pflegeoase – Das 3-Welten-Modell

Die Pflegezentren der Stadt Zürich haben eine jahrelange Geschichte mit Pflegeoasen. Das ehemalige städtische Pflegezentrum Seeblick in Stäfa war als spezialisiertes Demenzhaus, mit dem damals visionären Betreuungskonzept der «3-Welten» von Christoph Held, in den Pflegezentren Vorreiterin für die Oase. Der damalige Betriebsleiter, Gerry Meier, hat den Gedanken der Pflegeoase weitergetragen und damit auch das Pflegezentrum Bachwiesen für diese spezielle Betreuungsform sensibilisiert und inspiriert.

Ideal versus machbar

Das Pflegezentrum Bachwiesen, das dieses Jahr 60 Jahre alt ist, verfügt über keine ideale Infrastruktur, um eine Pflegeoase zu betreiben. Der geplante Neubau ist einer der Gründe, warum in den letzten Jahren keine grösseren Umbauten für eine Pflegeoase möglich waren. Dennoch wird in unserer Oase, trotz räumlicher Gegebenheiten, ein überzeugendes Pflege- und Betreuungsangebot umgesetzt. Mit wenig gestalterischen Anpassungen, haben wir eine angenehme Umgebung für unsere an Demenz erkrankten Bewohnerinnen und Bewohner geschaffen.

Unsere Pflegeoase

Die Pflegeoase im Bachwiesen bietet sieben Menschen mit einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung einen behüteten und zugleich anregenden Lebensort. Die Oase, bestehend aus drei Einbett- und einem Vierbettzimmer, einem Ess- und Wohnbereich, sowie dem Erker, der einen wunderbaren Blick zu den Schrebergärten bietet und sowohl als Wohnraum wie auch als Büroarbeitsplatz genutzt wird. Sie hat einen direkten Zugang zum hauseigenen Garten und dem Tiergehege, mit Hasen und Ziegen. Die Oase ist integraler Teil der Spezialabteilung Demenz und vom Rest der Abteilung durch eine Türe getrennt.  

Die positive Entwicklung

m Jahr 2009 wurde unter der Bezeichnung «Insel» ein erstes Oasenkonzept im Pflegezentrum Bachwiesen umgesetzt. Die Abteilung wurde räumlich getrennt und Menschen mit einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung, die etwas mehr Ruhe brauchten, wurden in diesem Teil der Abteilung gepflegt. Der Grundgedanke, diese Menschen in einem ruhigeren Bereich zu betreuen, war richtig. Was damals fehlte, war ein angepasstes Betreuungskonzept mit dauernder Präsenz des Pflegepersonals. Dies machte die gut gemeinte «Insel» leider zu einer einsamen Insel. Auch das Pflegepersonal tat sich sehr schwer, auf der einsamen Insel zu arbeiten. Jeden Morgen gab es im Team Diskussionen, wer nun die Pflege auf der Insel übernehmen soll.

Heute sieht das glücklicherweise vollkommen anders aus! Wir haben ein verbindliches Oasenkonzept. Darin sind wesentliche Aspekte einer fortschrittlichen Demenzbetreuung beschrieben. Rahmenbedingungen wurden angepasst und Oasendienste eingeführt. Ein eigens für die Oase geschaffener Betreuungsdienst, der von einer erfahrenen Demenzfachfrau gestaltet wird, wurde aufgebaut. Das wirkt sich sehr positiv auf die Arbeit im Team aus. Und insbesondere Lernende und Studierende, die ebenfalls auf der Oase eingesetzt werden, können von der Erfahrung und dem Wissen dieser Fachfrau profitieren. Heute arbeiten viele im Team sehr gerne auf der Oase, denn sie ist ein besonderer Ort.

Was wirklich zählt

Nebst einem Konzept und unterstützenden Rahmenbedingungen, sind insbesondere gut geschulte Mitarbeitende wichtig. Sie nehmen mit Achtsamkeit, Flexibilität und Kreativität die scheinbar kleinen Dinge im Leben von an Demenz erkrankten Menschen wahr und reagieren situativ darauf.

  • Eine Bewohnerin sitzt mit verkrampften Gesichtszügen im Rollstuhl. Die Pflegende erkennt aufgrund ihrer Erfahrung das Unwohlsein der Bewohnerin. Sie weiss, jetzt ist bei Frau B. ein Positionswechsel notwendig. Sie legt die Bewohnerin auf ihr Bett und umhüllt sie schützend mit einer bunten, weichen Decke. Das Gesicht der Bewohnerin bleibt vorerst angespannt. Doch nach kurzer Zeit entspannen sich die Gesichtszüge von Frau B. und bestätigen damit die Einschätzung der Pflegenden.
  • Der Besuch des Therapiehundes, der beim Betreten den sonst so abwesenden Blick von Frau A., auf sich zieht. Das sanfte Schnuppern des Hundes an der Hand der Bewohnerin, löst ein kurzes Lächeln und eine sichtbar andere Präsenz bei Frau A. aus. Ihre Augen wirken wach und die Hand bewegt sich Richtung Hund. Grad so, als ob sie etwas wiedererkannt hätte und sich darüber freut.
  • Frau M. steht hilflos und verloren, mit gesenktem Blick im Raum. Die Pflegende geht mit ruhigen Schritten auf sie zu und fragt: «Gömmer zum Muggeli». Sofort nimmt die Bewohnerin den Arm, den die Pflegende ihr hinhält und tappt mit etwas staksigen Schritten zum Ziegengehege und ruft mit leiser Stimme: «Muggeli». Die Augen von Frau M. strahlen, als Ziege «Muggeli» zum Zaun kommt.
  • Eine Pflegefachfrau macht am Computer ihr Eintragungen. Neben ihr sitzt Frau K. im Pflegerollstuhl. Der Blick der Bewohnerin, der Richtung Schrebergarten geht, ist scheinbar leer und wirkt irgendwie angespannt. Die Pflegende tätschelt zwischen der Büroarbeit immer wieder sanft die Hand der Bewohnerin, grad so als wollte sie ihr sagen: «Sie sind nicht allein, ich bin hier bei Ihnen.»
  • Es sind herausfordernde Tage, wenn eine Bewohnerin über Stunden immer die gleichen Laute äussert. Vieles wurde schon ausprobiert, doch es gibt kein Rezept um dieses Verhalten nachhaltig zu beeinflussen. Was gestern die Situation positiv beeinflusst hat, wirkt heute nicht. Da ist die Beobachtungsgabe und die Kreativität des Betreuungsteams gefragt.
  • Es sind Momente, wenn Angehörige zu Besuch kommen und beispielsweise beim Betreten der Oase der Blick der Bewohnerin sich hebt. Sie weiss nicht, dass der Besuch ihre Tochter ist. Doch aus ihrer Reaktion kann man ein Erkennen vermuten. Irgendwie ein besonderer Moment, der eine Vertrautheit zwischen den beiden sichtbar macht.

Wer mit Aufmerksamkeit durch unsere Oase geht, begegnet täglich vielen solchen oder ähnlichen Situationen. Durch die dauerhafte Präsenz des Pflegepersonals und mit den regelmässigen Interaktionen, wird den Menschen, die auf der Oase leben, das Gefühl von Schutz und Geborgenheit vermittelt sowie für einen guten Mix zwischen Anregung und Ruhe gesorgt.

Schlussgedanken

Es ist Aufgabe der Führung, Rahmenbedingungen zu schaffen, die sowohl den Bewohnerinnen und Bewohnern wie auch dem Pflegepersonal nicht das Gefühl der einsamen Insel vermitteln. Die Oase und generell die Spezialabteilungen Demenz müssen immer wieder auf dem «Radar» der Führung sein. Eine gute Demenzbetreuung ist nicht etwas, das man irgendwann einfach hat. Es geht vielmehr darum, wach zu bleiben, mit Angehörigen und dem Team im Gespräch zu sein, um neue Entwicklungen im Blick zu haben und gegebenenfalls Veränderungen herbei zu führen.

Als Betriebsleiterin habe ich grossen Respekt für die Arbeit, die unsere Mitarbeiterinnen täglich auf den Spezialabteilungen Demenz und insbesondere auf der Oase leisten.

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Dialog

Kommentar

Liebe Sylvia, ein wunderbarer Artikel, der aufzeigt, wie wichtig alle Beteiligten sind von der Reinigungsfachfrau, die ebenfalls neben ihrer Aufgabe, Kontakte zu den Menschen mit Demenz pflegt, die Pflege, die Aktivierung, die med. Therapien, der Arztdienst, die Seelsorge und eben auch die Führung. Eine Person-zentrierte Begleitung von Menschen mit Demenz benötigt Zeit, Raum, Ressourcen und eine Wertehaltung, die von Allen gelebt wird. Das Erleben von diesen Momenten der Entspannung, Freude, Aufmerksamkeit ist für die betroffene Person ein Lichtblick und macht unsere Arbeit erfüllend, interessant und wertvoll. Liebe Grüsse Silvia

Liebe Silvia
Vielen Dank für deine Rückmeldung. Es freut mich, dass dir mein Artikel gefällt und du als ausgewiesene Fachfrau die Inhalte ebenfalls als relevant erachtest.
Aus meiner Sicht besteht in vielen Institutionen eine hohe Professionalität bei der Betreuung von an Demenz erkrankten Menschen. Persönlich beschäftigt mich jedoch, wie wir als Gesellschaft mit Demenz umgehen. Kaum jemand ist vom Thema Demenz nicht betroffen. Jeder und jede von uns hat im familiären Bereich, in der Nachbarschaft, im Bekanntenkreis oder im beruflichen Umfeld Kontakt mit an Demenz erkrankten Menschen und durch die demografischen Entwicklung wird dies noch zunehmen.
Meine Vision: Demenz steht hoch oben auf der gesellschaftlichen und der politischen Agenda und an Demenz erkrankte Menschen erhalten auch ausserhalb von Institutionen die notwendige Unterstützung und Fürsorge.
Es gibt noch viel zu tun, liebe Grüsse
Sylvia

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