Aktive Musiktherapie bei Menschen mit Demenz

Musiktherapie zählt zu den psychosozialen Interventionen im Behandlungsspektrum von Menschen mit Demenz. Diese evidenzbasierte Therapie kann auf eine Wirkung auf emotionaler, kognitiver und sozialer Ebene abzielen und dadurch sowohl Menschen mit Demenz, als auch deren Angehörige und die Betreuenden der Pflegeinstitutionen unterstützen.

Ausgangslage

Durch das Fortschreiten einer Demenz geht oft die Fähigkeit verloren, sich verbal mitzuteilen. In der Musik rücken diese Defizite in den Hintergrund und die funktionalen Aspekte in anderen Sinnen treten in den Vordergrund. Musiktherapie kann daher dort ansetzen, wo viele andere Therapieformen an ihre Grenzen stossen. Zudem wird Menschen mit Demenz durch das Medium der Musik eine Möglichkeit gegeben, sich mitzuteilen, gehört und verstanden zu werden und das Gefühl von Geborgenheit und Identität zu erleben. Auf diese Weise können die den Verhaltensauffälligkeiten von Menschen mit Demenz zugrunde liegenden Bedürfnisse angegangen und nicht nur die Symptome bekämpft werden [1]. In der Forschung zeigt sich insbesondere die Wirkung auf psychische und Verhaltenssymptome [2].

Aktive Musiktherapie

Man unterscheidet grob zwischen aktiver und rezeptiver Musiktherapie. Bei der rezeptiven Musiktherapie empfängt der Mensch mit Demenz die Musik, die entweder von Musiktherapeut*innen produziert wird, oder von einem Gerät abgespielt wird. Bei der aktiven Musiktherapie ist der Mensch mit Demenz aktiv am Klang beteiligt, sei es mit der Stimme, mit Instrumenten oder mit dem Körper. Diese musiktherapeutische Methode soll im Weiteren beleuchtet werden.

Aktive Musiktherapie zielt darauf ab, den Menschen mit Demenz in seinem Ausdruck zu fördern, ihn zu stimulieren und anzuregen, seine noch erhaltenen Fähigkeiten zu brauchen, sein Selbst-Bewusstsein zu fördern und sich in sozialen Interaktionen zu engagieren [3]. Dabei kann gesprochen, gesungen, getanzt oder mit Instrumenten gespielt werden [4]. Häufig wird im Einzelsetting eine stimmliche oder instrumentale Improvisation zusammen mit den an Demenz erkrankten Menschen aufgebaut [5]. Diese können sich sowohl auf bekannte Melodien oder Lieder stützen als auch komplett frei sein [4]. Es gilt stets, die Menschen mit Demenz nicht zu überstimulieren, sondern lediglich Räume zu schaffen, in denen sie sich selbst ausdrücken, engagieren und die Initiative ergreifen können [4]. Wichtig ist für die Musiktherapeut*innen, immer präsent zu sein und auf Veränderungen eingehen zu können. Mitunter ist es dazu von Bedeutung, über die Biografie eines Menschen mit Demenz Bescheid zu wissen, um Aussagen und nonverbale Ausdrücke richtig einordnen und adäquat darauf reagieren zu können. Ebenso hilft das Wissen zur Biografie bei der Auswahl von Liedern. Neben der Biografie ist es aber auch wichtig, dass das Arbeiten im Hier und Jetzt im Vordergrund steht. Die Musiktherapie sollte demnach nicht nur auf der Biografie einer Person aufbauen, sondern die aktuelle Verfassung in Bezug auf Stimmung, Aktivitätsniveau, Aufmerksamkeit oder Gesundheit miteinbeziehen. Aufbauend auf den Therapiezielen kann dann basierend auf der aktuellen Verfassung in den genannten Bereichen eine entsprechende Intervention gewählt werden.

Improvisation oder Komposition

Die Improvisation stellt eine Interaktion zwischen Musiktherapeut*in und dem Menschen mit Demenz dar, die beiden ein freies Spiel ermöglicht [4]. Der Einsatz von musikalischer Improvisation bei Menschen mit Demenz wurde lange als zu anspruchsvoll deklariert. Andererseits kann aber insbesondere ein komponiertes Lied ebenfalls einen hohen Anforderungscharakter ausstrahlen. Die freie Improvisation hingegen bricht sämtliche Grenzen auf und entspricht damit einem wichtigen und häufigen Naturell von Menschen mit Demenz. Diese können ihre Bedürfnisse oft nicht aufschieben, «sondern [diese] müssen im Moment des Entstehens befriedigt werden, damit ein Gefühl der Selbstwirksamkeit […] entstehen kann» [4]. Durch das musikalische Improvisieren, das sich am Hier und Jetzt orientiert, kann dieses Bedürfnis aufgenommen werden. So kann sich in der Improvisation eine aktuelle Stimmung – oft besser als verbal – ausdrücken oder ein Aktivitätsniveau zeigen, das nicht bewertet wird, sondern ein Ventil erhält. Beim Experimentieren mit Instrumenten oder der Stimme kann das kreative Potenzial von Menschen mit Demenz zum Vorschein kommen, was wiederum identitätsstiftend sein kann [4].

Das Singen oder Spielen von komponierten Liedern mit Menschen mit Demenz hat häufig eher eine biografische Komponente. Durch das Anstimmen von bekannten Liedern werden Erinnerungen hervorgerufen, positive Emotionen ausgelöst und nicht selten singen Menschen mit Demenz, deren Kommunikation fast gänzlich verstummt ist, einige Textzeilen mit [6]. Ein Lied kann aber auch als Anfangs- oder Schlussritual einer Musiktherapiestunde eingesetzt werden und auf diese Weise den Menschen mit Demenz einerseits Sicherheit und Stabilität geben und andererseits auch eine Art der Vertrautheit auslösen. Beim Singen von komponierten Liedern ist einerseits jederzeit mit Überraschungen zu rechnen, andererseits ist das Handlungsspektrum der Betroffenen stark reduziert und von häufig wiederkehrenden Verhaltensweisen geprägt [4]. Durch das Zulassen und Mitmachen von Überraschungen und Wiederholungen kann Menschen mit Demenz, denen durch ihre Symptomatik häufig eine gewisse Desorientierung und Unsicherheit innewohnt, eine vertraute Struktur und Sicherheit gegeben werden.

Dies hat zur Folge, dass der Übergang zwischen einem komponierten Lied und der Improvisation nicht stetig, sondern viel mehr auf einem Kontinuum verläuft. Elemente der Improvisation können in komponierte Lieder eingebaut werden und ebenso kann aus einer Improvisation ein gemeinsames Lied entspringen. Improvisation kann helfen, die unter Umständen einengende und Druck ausübende Form von komponierten Liedern aufzubrechen und so die Hemmung etwas Falsches zu singen zu mindern.

1] Sutter R. Evidenzbasierte Musiktherapie bei Behavioural und Psychological Symptoms of Dementia (BPSD). 1st ed. Zürich: Elsevier, Urban & Fischer; 2015.

[2] Moreno-Morales C, Calero R, Moreno-Morales P, Pintado C. Music therapy in the treatment of dementia: A systematic review and meta-analysis. Front Med 2020;7:1–11. https://doi.org/10.3389/fmed.2020.00160.

[3] Sherratt K, Thornton A, Hatton C. Music interventions for people with dementia: A review of the literature. Aging Ment Heal 2004;8:3–12. https://doi.org/10.1080/13607860310001613275.

[4] Muthesius D, Sonntag J, Warme B, Falk M. Musik – Demenz – Begegnungen. Musiktherapie für Menschen mit Demenz. Frankfurt/M.: Mabuse-Verlag; 2010.

[5] Ridder HMO, Stige B, Qvale LG, Gold C. Individual music therapy for agitation in dementia: An exploratory randomized controlled trial. Aging Ment Heal 2013;17:667–78. https://doi.org/10.1080/13607863.2013.790926.

[6] Huber A, Oppikofer S, Meister L, Langensteiner F, Meier N, Seifert A. Music & Memory: The Impact of Individualized Music Listening on Depression, Agitation, and Positive Emotions in Persons with Dementia. Act Adapt Aging 2020;00:1–15. https://doi.org/10.1080/01924788.2020.1722348.

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